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Die Sache mit dem Flipper

Das Verschwinden des Flipperautomaten ist Sinnbild eines Unterhaltungswandels.

Nahaufnahme eines Flippers

Das Verschwinden des Flipperautomaten ist Sinnbild eines Unterhaltungswandels. Trifft das einsame Spielen einfach nicht mehr den Nerv der Zeit? Flipperforscher Dennis Göttel lernt in einer Kölner Kneipe zufällig den Champion „Win“ kennen – und staunt über Körpereinsatz der alten Schule.

Der Groschen fällt durch den Münzschacht des Flippers. Win, ein Kölner Urgestein, wärmt sich auf: tzackk schnellt die Feder die eiserne Spielkugel in die labyrinthartige Spielwelt hinein. Gemächlich passiert der Ball die oberen Elemente, nimmt die ersten Punkte mit und legt an Tempo zu. Dingdingdingdingding boing dingding boingboing ding. Es gluckst und ruckelt im Retrosound entlang der Rampen, Bumper, der farbig blinkenden Felder. Win nimmt einen beiläufigen Schluck von seinem Dunkelbier und widmet sich fachmännisch wieder den Flipperhebeln – das harte Ballspiel braucht Fingerspitzengefühl.

Verbissene Pressgeräusche gibt Win von sich, er gnarzt, ächzt und lamentiert: »Nnnoo!«, »God damn…!« Fällt die Kugel dann ins Aus, treibt es dem Mann mit der Schiebermütze und dem Seidenschal Zorn ins Gesicht. Er schlägt mit Wucht auf den Metallkorpus, fasst sich wortlos an den Kopf und muss kurz mal durchatmen. »Ja, ich lasse an der Kiste Dampf ab – besser hier, als an jemand anderem«, sagt er und grinst. Ein bisschen Spaß scheint dem galanten Dandy und ehemaligen Showproduzenten selbst das Verlieren zu machen. Als er mit triumphalem Singsang »Extraball« verkündet, scheint aller Ärger vergessen.

438.417.980 Punkte beträgt der Rekord beim Addam’s Family-Flipper in der »Tankstelle« auf der Kyffhäuser Straße in Köln. Der Apparat blinkt, klingt und kommuniziert, erregt Aufmerksamkeit, lockt an wie eine Jahrmarktbude. Mit dem Einwurf von bereits einem Euro können Spieler den Jackpot herausfordern. Win ist davon angefixt. Er selbst war es, der ihn aufgestellt hat. Name verpflichtet.

Bei allem Unterhaltungswert gibt es Fragen: Wieso ist das altehrwürdige Flipperspielen aus der Mode gekommen? Sind andere Wege der Zerstreuung heute einfach interessanter? Diesen Themen geht der Juniorprofessor für die Geschichte und Geschichtsschreibung der technischen Bildmedien, Dr. Dennis Göttel, seit dem Wintersemester 2017/18 am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln nach.

Wenn man Win, der einst an der Uni Köln studiert hatte, beobachtet, scheint Flippern eine theatrale Männerdomäne zu sein. Zumindest ist das Spiel kulturell tatsächlich mit Diskursen von Männlichkeit verbunden, weiß Göttel. Der Flipperforscher befindet sich auch gerade in der »Tankstelle« – aber rein beruflich. Neu in der Stadt, hat er sich noch nicht eingehender mit der Flipper-Infrastruktur Kölns beschäftigt. Dem Addam’s Family-Automaten bescheinigt er jedoch einen tadellos gewarteten Zustand. Win pflichtet ihm bei: »Mit Abstand der beste Flipper der Stadt.« An diesem allein durch seine Ausmaße außergewöhnlichen Gerät treffen wissenschaftliche Theoriebildung und lebendige Praxis sicher nicht sehr oft aufeinander.

Was genau er forsche, fragt Win den Juniorprofessor und zeigt aufrichtige Begeisterung, dass das geliebte Hobby es auf den universitären Lehrplan geschafft hat. Göttel berichtet von einem seiner Schwerpunktthemen, nämlich der Diskursgeschichte des Automaten, die er erstmals in Form einer Monographie rekonstruieren möchte: »Im engeren Sinne schreibe ich keine Technikgeschichte des Flippers. Das heißt aber nicht, dass das eigentliche Objekt gar keine Rolle spielt.«

Der Mensch an der Maschine

Der Flipperdiskurs sei eng mit Themen wie Sprache und Sprachlosigkeit, Jugend und Adoleszenz, Urbanität und Delinquenz oder den Geschlechterverhältnissen verwandt. Dieses vielschichtige Bedeutungsnetz untersucht der Medienwissenschaftler in kulturellen Erzeugnissen wie Film, Theater, Lyrik oder Bildender Kunst. Welche Funktion übernimmt der Flipper im Werk? Welche Symbolkraft hat er als Zeichen und Motiv, als kulturelle Praxis? Wie interagieren Personen mit dem Automaten, in welchem Verhältnis stehen Maschine und Mensch zueinander?

Göttels Motivation hat sich zunächst aus der Leidenschaft für das Medium Film entwickelt – im schwarz-weiß-Kino der Nouvelle Vague waren Flipper beliebte klein auf: »Mein Vater hatte einen IndianaJones-Flipper im Partykeller, an dem habe ich früher gespielt. Aber heutzutage gibt es kaum noch zugängliche Automaten, und ich bin auch kein besonders guter Spieler«, sagt er taktisch bescheiden und staunt, an einer Coca-Cola nippend, über den virtuosen Win, der sich in Fahrt spielt.

Verheißungsvolle Verlautbarungen

1979 (Göttels Geburtsjahr) war das Jahr mit der höchsten Flipperdichte. Allein in Deutschland gab es rund 200.000 Geräte im öffentlichen Raum. Davon ist heute bloß ein Bruchteil übriggeblieben. Anfang der 1930er Jahre entstanden die ersten »pinball machines«, wie sie im amerikanischen Raum heißen. Die Bezeichnung »Flipper« hingegen ist typisch für Deutschland, Frankreich und England. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Vorläufermodelle so weiterentwickelt, Requisiten, doch in wissenschaftlichen Analysen wurden sie nur am Rande erwähnt. Den Automaten kennt er trotzdem schon von dass sie den Prinzipien des heute bekannten Flippers entsprechen. »Humpty Dumpty« hieß dieser erste Flipperautomat aus dem Jahr 1947, angepriesen als »the sensationally new player-controlled flipper bumpers«. Neu an Humpty Dumpty war, dass dem Spieler nun Hebel – die Flipper – zur Verfügung standen, um die Kugel möglichst lang am Rollen zu halten.

Auch wenn Humpty Dumpty als Name einem Kinderreim entnommen ist, trägt der historische Erstling ein lautmalerisches Moment in sich. Gerade sein Sound habe den Flipper für die Künste anschlussfähig gemacht, sagt Göttel: »Seine Laute sind elektromechanisch und auf eine bestimmte Menge an Tönen begrenzt. Seine Verlautbarungen gehorchen der Ökonomie des Kleingelds im Münzschlitz. Gerade in dieser standardisierten Kommunikationsfähigkeit erklingt der Sound des Spätkapitalismus.« Ist der Apparat mit seinen automatisierten Klängen Abbild einer zeithistorischen Sprachkrise?

Man schweigt oder spricht

Das Theaterstück »Ping-Pong« (1955) des französischen Dramatikers Arthur Adamov ist ein gutes Beispiel für den sprachlich wirschen Schauplatz des Flippers: Die gesamte Handlung kreist um den Flipperautomaten, was in seiner Ausführlichkeit mehr und mehr absurd wirke, so Göttel: »In dem Stück wird durch die Flipperrequisite die Alltagssprache ausgestellt. Etwas, das eigentlich kein Bühnenstoff ist, wird auf die Bühne gebracht. Das hat in der Nachkriegszeit extrem polarisiert.« Adamov inszenierte den Flipperautomaten als Zentrum, um das Gefühle, Sexuelles, Soziales und Wirtschaftliches kreisten. Als Ansammlung von »zaghaften Gemeinplätzen, halben Binsenwahrheiten« und Floskeln beschreibt der französische Literaturtheoretiker Roland Barthes die »Ping-Pong«-Sprache, eine Sprache, so Barthes, die aus dem »Theater des Lebens« hervorgegangen wäre.

Weniger an der rauen Realität orientiert kommt die 1969 erschienene Rockoper »Tommy« von der englischen Band The Who daher. Darin wird die Heldengeschichte des Jungen Tommy Walker erzählt, der sich taub, stumm und blind zum Flipperchampion hochspielt. In der Filmversion von 1975 tritt Tommy in der letzten Szene gegen den amtierenden Champ (gespielt von Elton John) an, der auch den gleichnamigen Song interpretiert: »He stands like a statue /Becomes part of the machine / Feeling all the bumpers /Always playing clean/ Plays by intuition/The digit counters fall/That deaf, dumb, and blind kid / Sure plays a mean pinball.« Beide stehen auf einer Bühne und werden von hunderten jungen Mädchen mit Plakaten bejubelt und vergöttert wie Musikstars. Göttel sagt: »Der Film spitzt den Topos zur nonverbalen Kommunikation im Flipperdiskurs zu – Tommy kann als Taubstummer nicht verbal kommunizieren und findet dadurch gerade im Flipper sein persönliches Glück.«

Die Oper »Tommy« sei auch Indiz einer in den 1970er Jahren neu aufkommenden Flipperfaszination: »Schon damals trug Flipperkult nostalgische Züge – nicht zu vergleichen aber mit der Retromanie, die bei uns in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren stattfindet«, erläutert Göttel. Man denke allein an die Renaissance der Schallplatten und Sofortbildkameras.

Gemeinsam einsam und doch dabei

Im Laufe der 1980er Jahre verschwanden Flipper allmählich. Nicht schlagartig, aber schleichend – für Göttel jedoch allemal eine wundersame Wende: »Mich interessiert, wieso die ein halbes Jahrhundert lang so zentralen und äußerst populären Objekte wie Flipperautomaten aus den Kneipen, Raststätten und Pommesbuden verschwunden sind und seitdem maximal in Kellerräumen weiter existieren durften.« Weiß man’s? Für Win, der dem Gespräch lauscht, ist die Antwort klar: »Flippern ist zu teuer geworden. Die Instandhaltung kostet eine Menge Geld, das hat sich irgendwann nicht mehr gerechnet. Die Teile gehen kaputt, keiner kann sie reparieren, und man verdient nix mehr damit.« Göttel nickt.

Neben dem ökonomischen Faktor habe natürlich auch die Einführung digitaler Spielealternativen ihr übriges getan, ergänzt der Wissenschaftler. Diese Entwicklung sieht Göttel als Teil eines generellen Kulturwandels: »Beim Flipper spielt man zwar isoliert, aber das Spiel findet im öffentlichen Raum statt. Heutzutage spielt man in der digitalen Game-Kultur oft gemeinschaftlich, aber das Spiel findet meistens isoliert im Privaten statt – oder im virtuellen Raum.« Die DeIndustrialisierung habe darüber hinaus in westlichen Ländern zu einem Strukturwandel der Ökonomien geführt. Das mache auch die schwere Spielmaschine zum Anachronismus – so zumindest argumentiert der italienische Marxist Paolo Virno.

Von der limitierten Welt eines wuchtigen Metallkastens, der keine Überraschungen und keine Updates bereithält, haben sich die meisten zeitgenössischen Spiele entfernt. 2018 sind schier unendliche Welten, vernetztes Gaming, Austausch und Avatare die Realität und bieten mannigfaltige Möglichkeiten der Zerstreuung – auch mobil und oft gratis. Der Flipper schafft es mit ganz anderen, aber vergleichsweise schlichten Mitteln, der Spielerin und dem Spieler das Theater des Lebens, die Ups and Downs, leibhaftig vorzuführen. Damit werden die bunten Automaten ihrem Wesen in einer Eckkneipe auf jeden Fall gerechter als in einem Museum. Win und Göttel arbeiten daran, dass aus dem Verschwinden des Automaten kein Game Over wird. The show must go on.