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»Wir sind weiter vom Elfenbeinturm entfernt als je zuvor«

Interview mit dem scheidenden Rektor Prof. Dr. Axel Freimuth

Nach 18 Jahren als Rektor übergibt Axel Freimuth im Oktober die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Joybrato Mukherjee. Im Interview reflektiert er über Erfolge und Enttäuschungen während seiner Zeit am Ruder der Universität und über den Unterschied zwischen der Elite- und der Exzellenzuniversität. Und er gibt einen kleinen Ausblick auf seine Pläne nach der Uni.

Das Gespräch führte Jürgen Rees

Herr Freimuth, Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie selbst ein ziemlich schlechter Schüler waren. Stimmt das oder war das Koketterie?

Doch, das stimmt. Ich hatte im Abschlusszeugnis in Sport, Musik und Kunst eine Eins, in allen anderen Fächern eine Vier, in Chemie gar eine Fünf und eine Drei in Physik, Philosophie und Englisch. Das ergab eine 3,6 im Schnitt und war die zweitschlechteste Note des Jahrgangs. Soweit ich mich erinnere zählten Sport, Musik und Kunst damals noch nicht für die Abi-Note.
 

Mussten sich Ihre Eltern sorgen, dass Sie hängen bleiben?

Nein. Sie hatten Vertrauen und wollten natürlich, dass ich nicht hängen bleibe. Wenn es in einem Fach brenzlig wurde, weil ich eine Fünf geschrieben hatte, musste ich Gegenmaßnahmen ergreifen, beispielsweise habe ich einmal in Latein wochenlang jeden Abend zwanzig Vokabeln gelernt und wurde von meiner Mutter abgefragt. Im Folgejahr bekam ich eine Drei in Latein.
 

Wie hat Ihr Abitur Ihre Studienwahl beeinflusst?

Gar nicht. Einen Numerus Clausus gab es damals, glaube ich, nur in Medizin. Aber ich wusste, dass ich das nicht studieren wollte, sonst hätte ich mich natürlich mehr angestrengt. Physik war eines der Fächer, die in Betracht kamen, außerdem noch Germanistik und Philosophie. Generell bin ich wohl jemand, der in schulischen Systemen nicht gut lernt. Auch an der Uni bin ich praktisch nie in Vorlesungen gegangen. Stattdessen habe ich mir die Skripte besorgt, viel gelesen und ansonsten das gemacht, was mich interessierte, also außer Physik vor allem Musik.
 

Nach 18 Jahren als Rektor gehen Sie bald in den Ruhestand. Was sind die drei Highlights aus Ihrer langen Amtszeit?

Eines der großen Highlights ist, dass die Universitäten im Vergleich zum Anfang meiner Zeit als Rektor sehr viel selbstständiger geworden sind, mehr Autonomie haben und freier agieren können. Durch diese erhöhte Freiheit konnten wir an der Uni Köln die Professorenbesoldung international wettbewerbsfähig gestalten und die Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre erheblich verbessern. Ein Ergebnis ist, dass wir heute national und international viel besser dastehen. Wie sehr uns die Autonomie zu besonderen Leistungen befähigt hat, wurde zum Beispiel in der Corona-Pandemie sichtbar, wo wir es in wenigen Wochen geschafft haben, die Lehre fast vollständig auf digitale Formate umzustellen. So viel Flexibilität hätte uns kaum jemand zugetraut.

Ein weiteres Beispiel für Flexibilität war die Bewältigung des Doppel-Abitur-Jahrganges im Jahr 2013, den wir reibungslos bewältigt haben, obwohl wir innerhalb kürzester Zeit die Kapazität, also vor allem Lehrkräfte und Lehrflächen, um 30 Prozent hochfahren mussten.

Als Folge dieser Entwicklungen sind wir heute weiter vom Elfenbeinturm der Wissenschaft entfernt als jemals zuvor. Die Universitäten – insbesondere die Universität zu Köln – sind heute wesentlich stärker gesellschaftlich vernetzt.
 

Was ist das zweite Highlight?

Das ist der bedeutende Erfolg, den die Universität zu Köln in der Forschung errungen hat. Das umfasst nicht nur die Exzellenzinitiative, sondern die Qualität der Forschung insgesamt. Wir haben eine Vielzahl an herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern berufen, wir haben mit 16 Sonderforschungsbereichen so viele wie noch nie und zusätzlich vier Exzellenzcluster. In Deutschland hat nur die Universität Bonn mehr. Das zeigt, dass wir inzwischen national zu den forschungsstärksten Universitäten gehören.
 

Gehört die sogenannte Bologna-Reform – die europaweite Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen, die auf die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Hochschulraums zielt – auch dazu?

Auf jeden Fall. Die Umstellung auf die neuen Studiengänge war von Anfang an in meiner Amtszeit eine immense Herausforderung und beschäftigt uns noch heute, beispielsweise bei der gerade laufenden Systemakkreditierung der Uni Köln. Neben der Neugestaltung der Studiengänge war die flächendeckende Einführung von Graduiertenschulen wichtig, über die wir die Rahmenbedingungen für die Promotion neu gestaltet haben.


Es fehlt noch das dritte Highlight.

Was mir immer sehr am Herzen gelegen hat, ist die Frage, wie gut die Arbeitsverhältnisse an der Universität zu Köln sind und ob sich alle Beschäftigten mit ihrer Universität identifizieren können. Bei den Karrierewegen, um ein aktuelles Thema aufzugreifen, haben wir viel verbessert, beispielsweise durch die Einführung der Juniorprofessur mit Tenure Track, die verlässlichere Karrierewege sicherstellt. Außerdem haben wir umfassende Förderinstrumente auf allen Ebenen eingerichtet, die sowohl für eine wissenschaftliche Karriere als auch für den nicht-wissenschaftlichen Arbeitsmarkt vorbereiten. Es gibt viele weitere Programme und Einrichtungen, zum Beispiel Mentoring-Programme, eine Universitäts- Kindertagesstätte sowie den Dual Career & Family Support. Das alles, hoffe ich, macht die Uni zu einem wesentlich besseren Arbeitsplatz für viele.

Ein weiteres Schwerpunktthema war Chancengleichheit und Diversität, mit vielen Projekten zur Förderung der Gleichstellung von Frauen oder zur Unterstützung von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern, die aus Familien kommen, die keinen akademischen Hintergrund haben. Wir sind zudem die erste Uni, die eine Beauftragte für Rassismuskritik hat.
 

Können Sie mit dem Begriff der Eliteuniversität etwas anfangen?

Ich habe das Wort Eliteuniversität so gut wie nie verwendet und wenn, dann nur, um mich darüber zu beschweren. Heute kommt etwa die Hälfte eines Jahrganges an die Universitäten. Deshalb ergibt es nicht viel Sinn, immer nur von Eliten zu sprechen. Unsere Aufgabe ist vielmehr, für möglichst viele junge Menschen angemessene Studiengänge anzubieten, die die jeweiligen Lebenswege unterstützen. Dazu gehören natürlich Karrieren in der Wissenschaft und die Förderung von Spitzenforschung, aber eben nicht nur.
 

Meinen Eliteuniversität und Exzellenzuniversität nicht etwas ziemlich Ähnliches?

Aus meiner Sicht nicht. Exzellenzuniversität bedeutet, dass die Universität in Forschung und Lehre sowie anderen Bereichen wie Transfer oder Nachwuchsförderung Spitzenleistungen erbringt und international vorne mitmischt. Der Begriff Eliteuniversität ist dagegen eine diskriminierende Formulierung. Er missachtet, dass die Universitäten eine große gesellschaftliche Verantwortung haben: vor allem, die bestmögliche Ausbildung vieler junger Menschen sicherzustellen, die keineswegs alle eine wissenschaftliche Karriere anstreben.

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Neben den vielen Highlights aus 18 Jahren gab es bestimmt auch Enttäuschungen. Was war die größte?

Trotz der vier bewilligten Exzellenzcluster haben wir 2019 den Status als Exzellenzuniversität verloren. Das war natürlich eine große Enttäuschung. Vielleicht waren wir damals, gerade wegen der vier Cluster, zu selbstsicher. Aber wir werden aus dieser Erfahrung lernen und alles daransetzten, den Exzellenzstatus wieder zu gewinnen.
 

Wie bewerten Sie die Rahmenbedingungen für die Universitäten heute?

Die Rahmenbedingungen haben sich in vieler Hinsicht stark verbessert. Einiges, wie die Zugewinne an Autonomie, habe ich ja eben erläutert. Aber es gibt immer noch Aspekte, mit denen man nicht zufrieden sein kann. Dass wir als Universität zu Köln selber bauen können, ist zwar sehr schön. Aber es geht alles viel zu langsam, und das liegt vor allem an bürokratischen Hürden und aufwändigen Abstimmungsprozessen.

Wir haben mit der Universitätsstiftung ein Gebäude, den kürzlich eingeweihten InnoDom, in nur drei Jahren und im Kostenrahmen geplant, gebaut und in Betrieb genommen. Das gelang, weil das Vorhaben nicht den Rahmenbedingungen des öffentlichen Baus unterlag. Das zeigt, dass wir es auch schneller und effizienter können. Es ist sehr erfreulich, dass sich Ina Brandes, die Wissenschaftsministerin unseres Bundeslandes, vorgenommen hat, die öffentlichen Rahmenbedingungen für den Bau zu verbessern. Ich wünsche ihr dabei viel Glück und Erfolg.
 

In diesem Jahr gab es zwei Fälle von Machtmissbrauch durch Professor*innen an der Universität zu Köln – inklusive ausführlicher Berichterstattung in verschiedenen Medien. Wie belastend ist das für Sie?

Sehr. Wenn ich in einem solchen Verfahren erfahre, dass beispielsweise ein Doktorand acht Jahre für seine Doktorarbeit braucht, dann zeugt das nicht gerade von einer guten Betreuung und Respekt vor der Lebenszeit des Betroffenen. Andererseits haben die Fälle aber auch gezeigt, dass unsere Warnsysteme und anderen Maßnahmen greifen, denn die Missstände wurden ja intern aufgedeckt. Wir arbeiten mit großem Engagement und unter Einbeziehung aller Gruppen der Universität daran, dass Missstände noch niedrigschwelliger aufgedeckt werden können.
 

Wie?

Wir wollen unser Ombudssystem verbessern. Dort können sich Beschäftigte anonym und vertraulich beschweren, wenn etwas nicht gut läuft. Dadurch erhalten wir mehr Hinweise auf Missstände. Es ist wichtig, diese Beschwerdeeinrichtungen noch sichtbarer und einfacher zu gestalten. All das soll noch einmal deutlich machen, dass die Universität Machtmissbrauch nicht toleriert.
 

Was ist die Aufgabe der Ombudsleute?

Sie sind für die Betroffenen Erstkontakt und Vertrauenspersonen. Das bedeutet, dass sie niemandem Rechenschaft schuldig sind, auch nicht dem Rektor oder Kanzler als Personalvorgesetzte. Sie beraten die Betroffenen, beispielsweise ob und wie ein formales Beschwerdeverfahren in der jeweiligen Situation sinnvoll ist, mit welchen Belastungen es unter Umständen für die Betroffenen verbunden ist und vieles mehr. Wichtig ist zu wissen, dass ein formales Verfahren in der Regel nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn der- oder diejenige mit Namen dahintersteht.
 

Sie sind 18 Jahre Rektor einer der größten deutschen Universitäten: Spielt das Wort Bedeutungsverlust für Sie eine Rolle, wenn sie im Oktober in Ruhestand gehen?

Ich freue mich sehr darauf, wieder frei und spontan über meine Zeit entscheiden zu können. Schon während der Corona-Zeit habe ich ein kleines Musikstudio reaktiviert und möchte demnächst wieder zusammen mit meiner Frau Musik machen. Ich habe mich auch sehr gefreut, dass die Bigband der Universität zwei meiner Arrangements gespielt und vor kurzem sogar in einem Studio aufgenommen hat. Außerdem haben wir uns einen gebrauchten Wohnwagen gekauft, um durch Europa zu tingeln und uns Dinge anzuschauen, die wir noch nicht kennen.

Professor Dr. Axel Freimuth studierte Physik in Köln. Nach Promotion und Habilitation in Köln wurde er 1996 an die Universität Karlsruhe berufen. 1998 nahm er den Ruf auf eine C4-Professur für Experimentelle Festkörperphysik an der Universität zu Köln an.

Von 1999 bis 2000 war er Geschäftsführender Direktor des II. Physikalischen Instituts, von 2000 bis 2002 Vorsitzender der Fachgruppe Physik. Von 2002 bis 2006 war er Sprecher eines Sonderforschungsbereichs. Nach einem Forschungsaufenthalt im Jahr 2002 an der University of British Columbia (Kanada) war er von 2003 bis 2005 Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Seit April 2005 ist er Rektor.

Freimuth war von 2008 bis 2010 sowohl Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Universitäten in Nordrhein- Westfalen als auch Vorsitzender der Kölner Wissenschaftsrunde. Außerdem ist er Mitglied des Aufsichtsrats des Universitätsklinikums Köln.

Seit 2007 ist Professor Freimuth Vorsitzender des Kuratoriums des Max- Planck-Instituts für Züchtungsforschung (Köln) sowie Mitglied der Kuratorien der Max-Planck-Institute für Gesellschaftsforschung (Köln), für Radioastronomie (Bonn), für Biologie des Alterns (Köln) und für Stoffwechselforschung (Köln).