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Vertrauen: Es geht nicht ohne

Wir sollten uns gegenseitig mehr vertrauen – in den meisten Fällen wird dies belohnt.

Detlef Fetchenhauer forscht seit über zehn Jahren zum Thema Vertrauen. Er sagt: Wir sind anderen gegenüber zu zynisch. Wir sollten uns gegenseitig mehr vertrauen – in den meisten Fällen wird dies belohnt.

Von Sarah Brender

 

Ich vertraue meiner Freundin, dass sie meine Geheimnisse für sich behält. Du stellst dich am Ende der langen Schlange im Supermarkt an – im Vertrauen darauf, dass alle anderen es genauso machen und sich nicht vordrängeln. Wir geben Bekannten unsere Adresse und Telefonnummer – im Vertrauen darauf, dass diese Daten nicht missbraucht werden. Wir ziehen uns in der Gemeinschaftsumkleide um – im Vertrauen darauf, dass keiner heimlich mit dem Smartphone Fotos von uns macht.

All dies geschieht im Alltag oft unbewusst. Denn Vertrauen ist notwendig, um kooperieren zu können: in intimen Partnerschaften, in Freundschaften, am Arbeitsplatz. In unendlich vielen alltäglichen Situationen spielt Vertrauen eine Rolle. Eltern könnten ohne Vertrauen in Kita-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter ihre Kinder nicht betreuen lassen. Und wir würden in keinen Bus und keine Bahn steigen, wenn wir nicht den Fahrkünsten der Busfahrerinnen und Lokführer grundsätzlich erst einmal vertrauen würden.

Doch wie sieht es mit uns selbst aus? Sind wir vertrauenswürdig? Die meisten Menschen werden das für sich wohl mit »ja« beantworten. Wir neigen dazu, uns für vertrauenswürdig zu halten – und auch Leuten, die uns ähnlich sind, eher zu vertrauen, meint Professor Dr. Detlef Fetchenhauer. Er ist Inhaber eines Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität. Wenn wir zum Beispiel ähnliche Hobbies, Berufe und politische Einstellungen haben, oder einfach unsere Gesichtszüge sich ähneln, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dem Gegenüber zu vertrauen.

Immer ein Risiko

Fetchenhauer beschäftigt sich seit 2008 mit dem Thema und ist fasziniert von der Vielfältigkeit des Forschungsfeldes. »Vertrauen ist immer etwas sehr Fragiles. Ist eine Person vertrauenswürdig, lohnt sich das Vertrauen. Ist sie es dagegen nicht, dann kann dies ausgenutzt werden. Damit ist das Vertrauen sehr dynamisch: Was für mich das beste Verhalten ist, hängt immer vom Gegenüber ab«, sagt der Wirtschafts- und Sozialpsychologe.

Wenn ich jemandem Geld leihe, und er oder sie gibt es mir wie abgesprochen wieder zurück, so stärkt diese positive Erfahrung das beiderseitige Vertrauen. Leihe ich dagegen Geld und bekomme es nicht zurückgezahlt, werde ich der betreffenden Person wahrscheinlich nicht so schnell wieder Geld leihen wollen. Sehr wahrscheinlich kann die Situation des gebrochenen Vertrauens gerade auch bei größeren Geldbeträgen das Verhältnis belasten. Aber Fetchenhauer macht Mut, denn seine Forschung zeigt: Wir sollten anderen viel mehr vertrauen.

Wir unterschätzen meist die Vertrauenswürdigkeit anderer

Fetchenhauer und sein Team erforschen das menschliche Vertrauen auch mit der Hilfe von Probandinnen und Probanden. Durch spieltheoretische Experimente erfragen sie nicht nur, ob die getesteten Menschen Vertrauen geben, sondern können auch prüfen, ob sie ihrerseits vertrauenswürdig gewesen wären.

Das dabei eingesetzte »Vertrauensspiel« funktioniert so: Zwei Personen interagieren vollkommen anonym und nur einmal miteinander. Person A erhält 5 Euro vom Versuchsleiter und hat zwei Alternativen: Sie kann das Geld für sich behalten oder an Person B weitergeben. In diesem Fall vervierfacht sich der Betrag auf 20 Euro. Für dessen Verwendung hat Person B wiederum zwei Möglichkeiten. Sie kann entweder die Hälfte davon an Person A zurücksenden oder sie behält die gesamten 20 Euro für sich.

Auch wenn diese Situation zunächst vielleicht sehr künstlich wirkt, ist sie sehr gut geeignet, Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit zu messen. Als sich wiederholendes Ergebnis verschiedener ähnlicher Experimente ergibt sich so, dass Menschen auf kognitiver Ebene Vertrauenswürdigkeit unterschätzen. Das heißt, sie schätzen die Vertrauenswürdigkeit anderer als weniger gut ein, als sie eigentlich ist. Wir scheinen also grundsätzlich eher zu zynisch anderen gegenüber zu sein.

Interessanterweise zeigt sich aber gleichzeitig auf der Verhaltensebene, dass diese Skepsis sich nicht im Handeln niederschlägt. Denn in dutzenden Stichproben waren die Versuchspersonen zwar misstrauisch, aber auf der Verhaltensebene wird anderen trotzdem Vertrauen entgegengebracht. Warum ist das so? Fetchenhauer erklärt das mit einer gesellschaftlichen Norm, die uns offenbar sehr stark prägt: Reziprozität.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit bedeutet im Fall des Vertrauens, dass es unhöflich ist, anderen nicht zu vertrauen. Denn ein fehlendes Vertrauen würde dem anderen gegenüber Misstrauen ausdrücken.

Diese Ergebnisse sind robust, betont Fetchenhauer, und die internalisierte Norm der Reziprozität wirkt offenbar stark: Es braucht dafür dann nicht einmal ein Gegenüber, das das fehlende Vertrauen bemerkt. Anonymität macht keinen Unterschied, wie Fetchenhauers Experimente belegen. »Wir empfinden es uns selbst gegenüber als unangenehm, jemand zu sein, der anderen nicht vertraut«, erklärt er.

Vertrauen kann auch ausgenutzt werden

Genau dieser Punkt kommt Betrügern natürlich gelegen. Sie versuchen alles, um möglichst sympathisch auf die Person zu wirken, die sie ausnutzen wollen, machen Komplimente, versuchen sich durch kleine Gefallen als vermeintlich vertrauenswürdig auszuzeichnen – und verlassen sich dabei darauf, das Vertrauen im Sinne des Reziprozitätsprinzips geradezu einfordern zu können. Eine stark verankerte, soziale Norm wird somit ausgenutzt.

Erfolgreiche Betrügerinnen und Betrüger verfügen oft über ein beeindruckendes intuitives Wissen sowie soziales Geschick, weiß Fetchenhauer. Ein von Betrogenen häufig genanntes Beispiel ist das Kennenlernen im Internet. Mit dem Ziel, einen einsamen Menschen auf Partnersuche auszunutzen, gehen Betrüger oft nach bestimmten Mustern vor. Nachdem Vertrauen online über Chats und Nachrichten, vielleicht auch Telefonate aufgebaut wurde, scheitert danach das Kennenlernen im »Real Life«. Eine häufige Masche ist dann, unter Ausreden Geld anzufordern, um das Treffen zu ermöglichen. Nach langem Vorlauf und erlangtem Vertrauen fühlt man sich unwohl, Misstrauen zu zeigen und so überweisen viele Menschen trotz ungutem Bauchgefühl oft den Betrag, um die aufgebaute Beziehung nicht zu gefährden. Sie wollen nicht zu misstrauisch wirken und tappen dadurch in die Falle.

Vertrauensvoll oder misstrauisch?

Auch wenn es ausgenutzt werden kann: Vertrauen ist wichtig und ohne Vertrauen wird vieles schwerer. Doch was können Menschen tun, denen Vertrauen grundsätzlich sehr schwer fällt? Wodurch entsteht eine »Vertrauensstörung«?

Laut Fetchenhauer gibt es dazu erst sehr wenige Befunde. Es gibt zwar Hinweise auf die Bedeutung von genetischen Faktoren, aber eher wenige. Lernerfahrungen alleine können generelle Vertrauensprobleme ebenfalls nicht erklären. »Manche fallen immer wieder auf die Nase und vertrauen weiter. Das kognitive Arbeitsmodell bezüglich Vertrauen ist relativ stabil und veränderungsresistent. « Menschen scheinen also entweder mit überwiegendem Vertrauen für andere ausgestattet zu sein oder eher weniger zu vertrauen. Dahinter steht jeweils das eigene Modell der Welt, das sich jemand gemacht hat. Personen mit einem stabilen Weltbild bringen Vertrauen in die Welt mit. Extrem misstrauische Menschen dagegen misstrauen anderen und haben das Gefühl, das habe sich bewährt – aber andersherum ergeht es genauso dem vertrauensvollen Menschen.

Kölner Forscherinnen und Forscher erheben auch länderweite Vertrauenswerte. So liegt laut Befragungen Deutschland im weltweiten Vergleich im oberen Mittelfeld des gegenseitigen Vertrauens. Noch mehr Vertrauen in die Mitmenschen gibt es demnach in Ländern wie Dänemark, Finnland und Norwegen, weniger Vertrauen dagegen in süd- und osteuropäischen Ländern. Fetchenhauer zufolge haben solche Umfrageergebnisse aber auch damit zu tun, wie das gesellschaftliche und soziale Leben im Land funktioniert. Er sagt: »In Ländern mit hohem gegenseitigen Vertrauen sind Menschen auch tatsächlich vertrauenswürdiger und funktionieren Gesellschaften besser als in Ländern mit niedrigem Vertrauen.«

Man muss es immer wieder riskieren

Detlef Fetchenhauers eigener Umgang mit Vertrauen hat sich durch seine wissenschaftliche Auseinandersetzung damit verändert. Er sagt: »Ich glaube, dass ich tatsächlich durch meine Beschäftigung durch das Thema vertrauensvoller geworden bin.«

Als Beispiel nennt er eine schöne persönliche Lernerfahrung: Seine Putzhilfe benötigte kurzfristig, und kurz vor dem Ende ihrer Tätigkeit bei ihm, 500 Euro und bat ihn darum, diese Summe auszuleihen. Ökonomisch betrachtet sei es Unsinn gewesen, der Person das Geld zu geben. Zumal es keinen schriftlichen Vertrag und somit keine Möglichkeit gab, die Rückzahlung je durchzusetzen. »Ich hatte ein mulmiges Gefühl, dachte dann aber: ›Ich erzähle Menschen immer, sie müssen mehr vertrauen. Dann sollte ich das selbst doch auch tun!‹« So gab er der Person das Geld – und sein Vertrauen wurde belohnt. Das Geld wurde wie besprochen zurückgezahlt.

»Das war eine sehr, sehr positive Erfahrung«, sagt Fetchenhauer und fügt hinzu: »Ich versuche, meine eigene Forschung ernst zu nehmen, Menschen mehr zu vertrauen und auch für mich persönlich in den Alltag einzubauen. Das möchte ich auch anderen gerne mitgeben. «     


Professor Dr. Detlef Fetchenhauer hat seit 2004 einen Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät inne. In seiner Forschung beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit den bestimmenden Faktoren prosozialen und antisozialen Verhaltens, ökonomischen Laientheorien und der Evolutionspsychologie.