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Technologie jenseits der Vorstellungskraft

Das Exzellenzcluster ML4Q erforscht die Grundlagen des Quantencomputers

Kölner Forschung legt die Grundlagen einer vollkommen neuen Technologie: des Quantencomputers. Der Exzellenzcluster ML4Q erforscht Schritt für Schritt den Weg zum Kalkulieren in der Quantenwelt. Ihr Ziel: Die Prozessoren der Zukunft sollen stabil und zuverlässig millionenfach schneller rechnen als klassische Computer.

Von Robert Hahn

Der Quantencomputer gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Milliarden werden weltweit von öffentlicher Hand und Technologiefirmen investiert, um die Rechenmaschine der Zukunft zu bauen, die auf den Prinzipien der Quantenmechanik beruht. Im Wettrennen um die ersten funktionierenden Quantencomputer überschlagen sich die Erfolgsmeldungen von Wirtschaftsunternehmen. Laut der Unternehmensberatung Boston Consulting Group soll ein weltweiter Markt von bis zu 250 Milliarden Dollar bis 2050 entstehen, das Wirtschaftsberatungsunternehmen McKinsey ernannte die Quantentechnologie gar zum »Retter des Planeten«. Große Erwartungen – doch was ist Quantencomputing eigentlich und wo steht die Wissenschaft?

Schweizer Uhrmacher der Quantenwelt

Mit Hilfe des Quantencomputers lassen sich Berechnungen in bisher unbekannter Geschwindigkeit durchführen – millionenfach schneller als durch klassische Computer. Sein Prinzip beruht auf der Informationsspeicherung und -verarbeitung auf der Ebene jenseits der klassischen Physik. Dort werden die Gesetze der Quantenmechanik genutzt, die sich sehr von den Gesetzen der klassischen Physik unterscheiden. So wird zum Beispiel der Spin von Elektronen, eine ihrer physikalischen Eigenschaften, manipuliert, um Informationen zu speichern und die sogenannten Qubits zu erzeugen – Quanten-Bits, die die kleinstmögliche Speichereinheit sind und das Maß für die Quanteninformation definieren. Diese neuen Methoden führen zu größeren Datenmengen, die gleichzeitig verarbeitet werden können.

Messungen an Quantenprozessoren können erst bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt durchgeführt werden. Dafür steigt Dr. Jakob Schluck im Labor von Yoichi Ando in den »Fridge« und setzt die zu messende Probe ein.

Bei der Entwicklung der vollkommen neuen Technologie stellen sich aber auch neue Probleme, die die klassische Physik nicht betreffen: Information auf Quantenebene kann leicht instabil werden, Berechnungen werden verfälscht. Faktoren wie die Temperatur des Systems oder magnetische Felder können von außen das System beeinflussen. Auch chaotische Effekte auf Quantenebene können zu einem Energieverlust führen: Innerhalb von Zehntelsekunden kann dann der informationstragende Spin kippen und die Informationen gehen verloren.

Seit 2019 arbeitet der Exzellenzcluster ML4Q (Matter and Light for Quantum Computing) an den Lösungen dieser Probleme. Der interdisziplinäre Cluster der Universitäten Aachen, Bonn und Köln sowie des Forschungszentrums Jülich erforscht Materialgrundlagen, Informationsübermittlung und Technologie des Baus von Quantencomputern.

Die Kölner Physiker Professor Dr. David Gross und Professor Dr. Alexander Altland sind Forscher des Exzellenzclusters, Gross ist stellvertretender Sprecher und forscht auf dem Gebiet der Quanteninformation. Sein Kollege Altland erforscht die Quantenphysik der Materialien, auf denen einmal die Quantencomputer beruhen sollen. Sie sind überzeugt, dass Quantencomputing möglich ist und sie im Cluster wesentlich zu seiner Entwicklung beitragen können. Als Physiker schätzen sie die Herausforderungen und Chancen der Technologie aber nüchtern ein. Dem Hype, an dem sich die weltumspannenden Technologiegiganten wie Google und Microsoft beteiligen, begegnet Alexander Altland mit wissenschaftlichem Ethos: »Wir halten nicht viel von überzogenen Versprechungen. Wir haben da eher eine Schweizer Uhrmacher-Mentalität: zuverlässig und genau. Das klingt dann manchmal etwas unspektakulärer als die Versprechen der Industrie.«

Gegenüber den Tech-Giganten haben sie den Vorteil, mit längeren Zeithorizonten und größeren Risiken arbeiten zu können, denn als Wissenschaftler*innen können die Mitglieder von ML4Q auch negative Ergebnisse veröffentlichen. »Akademischen Institutionen kommt die wichtige Rolle zu, zu sagen, wo es nicht funktioniert und stolz zu sein, ein Unmöglichkeitsresultat zu haben. Dann wissen wir: Das ist eine Sackgasse, da muss die Gesellschaft nicht ihre Energie investieren«, erklärt David Gross. So konnten die Wissenschaftler des Clusters zum Beispiel Evidenz dafür finden, dass die Qubits des IBM-Quantencomputers instabil werden können.

Kleine Einheiten verbinden Informationen

David Gross (2.v.l.) mit Studierenden. Bei seiner Forschung zu Quanteninformation sind auch auch Negativergebnisse eine Erfolgsmeldung.

Seit 2019 hat sich der Cluster als großer Technologieschwerpunkt im Rheinland etabliert und internationale Forscher und Forscherinnen angezogen, die ML4Q zu einem auch weltweit einmaligen Zentrum des Quantencomputing machen. »Wir wollten ganz eigene Forschungsstrukturen schaffen. Ich bin sehr stolz darauf, was wir zwischen den Unis geleistet haben«, so Altland. Er sieht den Cluster »auf halber Strecke beim Aufbau der Quantenregion Rheinland«. David Gross stimmt dem zu: »Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, kollaborative Strukturen in der Region zu schaffen. Das haben wir geschafft.« Inzwischen hat der Cluster auch Auswirkungen auf andere Projekte im Rheinland, wie zum Beispiel den Bau eines Quantencomputers in Jülich.

Die Wissenschaftler*innen nutzen die gesamte Bandbreite der Forschung aus, die die Region Rheinland inzwischen zu bieten hat. Köln hat einen Schwerpunkt in der Festkörperforschung und Quanteninformation, Bonn in der Quantenoptik, Aachen und Jülich sind anwendungsorientierter. »Das alles bildet ein interdisziplinäres Forschungsumfeld, was sonst keine einzelne Uni und auch keine Firma hat. Es bietet eine einmalige Infrastruktur «, so Gross. Von der physikalischen Erforschung der Grundlagen des Quantencomputings bis zum Bau experimenteller Rechner sind damit im Rheinland alle Forschungsgebiete aktiv, die man zur Verwirklichung der neuen Technologie braucht.

Erfolge haben auch die einzelnen Forschungsprojekte hervorgebracht, die die Forscher*innen in Köln seit 2019 durchführen. Im Bereich der Geräte wird es in Zukunft voraussichtlich nicht so schnell einen »monolithischen« Quantencomputer geben. Stattdessen werden es kleine modulare Einheiten sein, die über eine Leitung, einen sogenannten Bus wie beim klassischen Computer, miteinander verbunden sind. Diese Konnektivität zwischen Qubits erfordert interdisziplinäre Forschung, wie sie der Cluster im Rheinland bietet.

Yoichi Ando ist weltweit führender Forscher zu sogenannten Majorana-Qubits – dem »Heiligen Gral« der Quantenforschung. Alexander Altland ist Spezialist für die Quantenphysik von Materialien.

Die Universitäten Bonn (Optik) und Köln (Materie) arbeiten an der Verwirklichung dieser Konnektoren, die die instabile Information auf Quantenebene übermitteln können. Die Wissenschaftler*innen des Clusters können dabei zum Beispiel Erfolge im sogenannten Electron Shuttling verzeichnen, einer Methode, die Information, die auf den Elektronen gespeichert wurde, zu senden. Auch beim Problem der Fehleranfälligkeit der Quantenrechner hat der Cluster einiges beizutragen: In Zusammenarbeit mit Forscher*innen von der ETH Zürich konnten deutliche Verbesserungen erreicht werden. Methoden zur Fehlerkorrektur sind schon seit den 1930er Jahren bekannt. Sie wurden bei klassischen Computern allerdings nie angewendet, da diese sehr robust und zuverlässig rechnen. Nun kommen die Fehlerkorrekturprotokolle bei den Quantencomputern zum Einsatz. Doch da die Fehlerkorrektur selbst recht komplex ist und so weitere Störungen in das System bringen kann, passiert es leicht, dass sie das Problem verschlimmert, statt es zu verbessern, erklärt David Gross: »Wir benutzen hier sehr bescheidene Worte. Wir sagen nicht, dass wir einen Weg gefunden haben, die Fehler des Quantencomputers zu korrigieren. Aber wir kommen jetzt in die Richtung, wo es sich nicht verschlimmert, wenn wir Fehlerkorrektur machen.«

Eine neue Art, Daten zu verarbeiten

Obwohl die Forschungen am Quantencomputer Schritt für Schritt vorangehen, wollen die Wissenschaftler auch weiter den großen Sprung versuchen und nach einem Heiligen Gral des Quantencomputings suchen: dem sogenannten Majorana-Qubit. Dieses – bis jetzt nur theoretisch existierende – Qubit würde ein einzelnes Bit von Informationen in zwei sogenannten Quasiteilchen kodieren, den Majorana Fermionen. Theoretisch sollte diese Art von Speicherung der Quanteninformation nicht so instabil sein wie die bisher gebauten Qubits.

Alexander Altland erklärt, wovon viele Wissenschaftler *innen im Cluster träumen: »Dieses Qubit ist extrem schwer herzustellen, wir haben da noch nicht mal die Materiegrundlagen im Griff. Aber wir haben hier in Köln mit Professor Dr. Yoichi Ando einen der weltweit führenden Experten sowie einige Arbeitsgruppen in Jülich. Wir wollen es irgendwie schaffen, das Ding zu bauen.« Gross fügt hinzu: »Wenn wir es nicht bauen können, wollen wir wenigstens endgültig zeigen, dass es nicht funktioniert. Das wäre ein Ergebnis, mit dem wir weniger, aber auch zufrieden wären.«

Sowohl David Gross als auch Alexander Altland sind sich einig, dass mit Quantencomputing eine »disruptive« Technologie am Horizont erscheint, so wie es der klassische Computer oder die Lasertechnik einst waren: ein »game changer«, der vollkommen neue, heute unvorstellbare Technologien hervorbringen wird. Doch wie diese Technik genau funktionieren wird, welche Funktionen sie erfüllen und wie die Menschheit daraus Nutzen ziehen wird, sei noch nicht klar. Altland: »Wir arbeiten an einer Technologie, die man auf diesem Planeten noch nicht gesehen hat. Es wird etwas kommen, was wir uns nicht vorstellen können. Und weil wir es uns nicht vorstellen können, können wir es auch noch nicht ankündigen.« David Gross ergänzt: »Das ist nicht einfach ein schneller klassischer Computer, es ist eine völlig neue Art, Daten zu verarbeiten.«

 

Der Exzellenzcluster »Matter and Light for Quantum Computing« (ML4Q) wurde 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder an den Universitäten Köln, Aachen und Bonn sowie dem Forschungszentrum Jülich eingerichtet. Ziel von ML4Q ist es, neue Rechen- und Netzwerkarchitekturen auf der Grundlage der Quantenmechanik zu entwickeln. ML4Q baut auf der komplementären Expertise der Partnerinstitutionen in den drei zentralen Forschungsbereichen (Festkörperphysik, Quantenoptik und Quanteninformatik) auf und erweitert sie, um die beste Hardware-Plattform für Quanteninformationstechnologie sowie umfassende Pläne für ein funktionierendes Quanteninformationsnetzwerk zu entwickeln.