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Spaziergang mit Stolperpotenzial

Das »Chinesenviertel« in Köln-Ehrenfeld

Wissenschaftlerinnen  und Wissenschaftler  der Kölner Uni erforschen,  erkunden und  erleben Köln. Sie beschäftigen  sich mit  Flora, Fauna und  nicht zuletzt mit den  Bewohnern der Stadt  gestern und heute.  Über Interessantes,  Skurriles, Typisches oder  auch weniger Bekanntes berichten  sie in dieser Rubrik. Dieses Mal: Professor  Dr. Dietz Bering vom Institut für deutsche Sprache  und Literatur I über die Politik der Straßennamen. 

Köln ist die entspannteste Stadt Deutschlands. In diesem architektonischen Müllhaufen, frei von jeder an anderen Orten demütig angebeteten Unterwerfungs-Architektur, muss man sich einfach wohlfühlen. Hier gibt es so viele Kuriositäten zu entdecken, dass nicht verwundert, warum immer mehr Menschen – darunter viele Studierende – in die Stadt strömen. Schlendern wir zum Beispiel über die Subbelrather Straße und biegen nordwärts in die Takustraße ein. Wahrlich eine eigentümliche Straße, denn sie behält ihren Namen nicht nur, wenn man geradeaus geht. Sie heißt sogar dann noch Takustraße, wenn man im rechten Winkel links abbiegt – also eigentlich in die nächste Querstraße.

Das eigentümliche Gefühl nimmt nach einigen Schritten noch zu. Da ist man nämlich am Takuplatz. Sollte im durchstreiften Areal etwas Anderes herrschen als das kölschadäquate Kuddelmuddel? Gehen wir, leicht verunsichert, einfach weiter, dann treffen wir auf die Iltisstraße. Jetzt ist es aus mit der Gemütlichkeit: Am 17. Juni 1900 eroberte das deutsche Expeditionskorps im Rahmen des sogenannten Boxerkrieges die Forts von Taku, gelegen in der chinesischen Stadt Tiensin unweit von Peking. Das Kanonenboot »Iltis« als Spitzenschiff fuhr unter seinem Kommandanten Wilhelm Lans vorneweg. (Die Lansstraße liegt übrigens auch in der Nachbarschaft.)

Damals sollte der westliche Imperialismus in China für alle Zeit befestigt werden. Kaiser Wilhelm II. verabschiedete die Truppen mit einer berüchtigten Rede: »Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend  Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich  einen Namen gemacht…«  

Alle Gesellschaften bauen sich ein »kulturelles Gedächtnis  ». Sie hinterlegen in ihm, was für die jeweiligen  Sozietäten als verpflichtendes, unlöschbares Erbe  dauernden Bestand haben soll – also ein Wall gegen die  stetige Veränderung der Welt und das permanent wechselnde  Bewusstsein von ihr. Sie sorgen dafür, dass dieser  ewige Bestand nicht in Vergessenheit geraten kann  – unter anderem, indem sie ihn in den Straßennamen  festschreiben.  

Die schlimmen Taten der Kolonialzeit also im immerwährenden  Gedächtnis? Die mit dem Köln-Preis der Universität  und der Stadt Köln ausgezeichneten Arbeiten von  Peter Glasner, Klaus Groß-Steinbeck und Marion Werner  befassen sich mit den 5.500 Kölner Straßennamen – mit  all ihren Assoziationspotenzialen. Zur Kolonialzeit finden  sich hier weitere Exemplare: die Wißmannstraße, benannt  nach einem Gouverneur von Deutsch-Ostafrika,  auch in zahlreichen anderen Städten mit Straßennamen  und Denkmälern geehrt. Es steht fest, dass er an massiven  Verbrechen der Kolonialzeit beteiligt war, aber vollkommen  eindeutig ist das Urteil über ihn nicht. Und es  gibt weitere Beispiele, die an alte Kolonien erinnern, an  Tanga, Togo und Kamerun.  

In Köln hatte es schon seit 1948 immer wieder Debatten  gegeben, wenigstens die »schlimmsten« dieser Straßennamen  zu löschen – eine Bearbeitung des kulturellen  Gedächtnisses, die sich in anderen Städten schon viel  energischer durchgesetzt hatte. Aber sollten wir rigoros  für eine gereinigte Straßennamenlandschaft kämpfen,  auf dass wir endlich frohen Mutes vor einer makellosen  Geschichts-Kulisse stehen? Können wir dann noch einen  Namenspaten wie den Komponisten Hans Pfitzner  dulden, der behauptet hatte, »dass Judenblätter wie die  ›Frankfurter Zeitung‹ und das ›Berliner Tageblatt‹ gegen  meine Person und mein Werk eine wütende Hetze  loslassen. Solange es noch Burschen giebt, die gegen das  ausgereifte Meisterwerk eines deutschen Komponisten  meines Ranges einen Angriffskrieg führen …«  

Die Hansestadt Hamburg hatte schon reinen Tisch  gemacht und diesen üblen Antisemiten, und in der Tat  beachtenswerten Komponisten, aus dem kulturellen  Gedächtnis der Straßennamen gestrichen. Im vornehmen  Köln-Lindenthal prangt sein Name noch auf den  Schildern. Also jetzt auch hier: weg damit? Und wenn  schon dieser, dann müsse doch allemal auch der endlich  abmontiert werden, der die Juden »wie die tollen Hunde  « aus dem Land jagen wollte: kein anderer als Martin  Luther!  

Und jetzt der clean sweep: schnellstens weg mit dem,  der geschrieben hatte: »Ein Sterbender wird sofort von  den Würmern gefunden, die ihn vollends zersetzen  … Nichts anders bedeutet im heutigen europäischen  Culturleben das Aufkommen der Juden.« Mit der so  zentralen Richard-Wagner-Straße müsste also auch  Schluss gemacht werden. Da ist möglicherweise doch  ein kulturelles Gedächtnis vorzuziehen, in dem sich  Gutes und Böses in ihrer meist nur schwer aufzudröselnden  Mischung widerspiegeln. Ohne Zweifel: Die  eindeutigen Nur-Übeltäter der Geschichte sollten wir  aus dem Straßenbild halten. Doch das Straßennamen- Ensemble sollte kein illusionäres, antiseptisch-reines  Geschichtsbild vorgaukeln, sondern als permanenter  Denkanreiz dienen.  

WEITERLESEN: 
Peter Glasner: Die Lesbarkeit der Stadt. Kulturgeschichte und  Lexikon der mittelalterlichen Straßennamen Kölns. 2 Bde. 
Klaus Groß-Steinbeck: Die ideologischen Dimensionen der  Kölner Straßennamen von 1900 bis 1945 (Magister-Arbeit) 
Marion Werner: Vom Adolf-Hitler-Platz zum Ebertplatz. Eine  Kulturgeschichte der Kölner Straßennamen seit 1933