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Sklaverei: Kein Ende nach dem Ende

Die Sklaverei wurde 1865 in den USA abgeschafft. Trotzdem gibt es sie bis heute weltweit.

Die Sklaverei wurde infolge des amerikanischen Bürgerkriegs  am 18. Dezember 1865 in den USA abgeschafft.  Trotzdem gibt es sie bis heute weltweit. Und nicht nur im Süden der USA,  Brasilien oder der Karibik, sondern auch mitten in Europa.  Michael Zeuske, emeritierter Professor für Iberische und Lateinamerikanische  Geschichte, hat ein Buch über das Thema geschrieben. 

Herr Professor Zeuske, gibt es in Europa wirklich  noch Sklaven? 

Sklaverei ist heute weltweit verboten. Das heißt aber  nur, dass man Menschen offiziell, rechtlich nicht mehr  besitzen darf. Würden wir den Gesetzen der Staaten  glauben, gäbe es keine Sklaverei mehr. Ich definiere  Sklaverei – oder besser: Sklavereien – aber  nicht in erster Linie dem Gesetz nach, sondern  als meist mit Gewalt ausgeübte Kontrolle  eines Menschen oder einer Institution  über den Körper eines anderen Menschen  oder eines Kollektivs. Damit verbunden ist  eine Statusminderung und die Möglichkeit  des Halters, die Körper anderer Menschen  zu Arbeit, zum Beispiel zur Produktion, und  zu Dienstleistungen zu zwingen, etwa zur  Reproduktion, Sex, Vergnügen oder Ähnliches,  und das ohne festgelegte Begrenzung  der »Arbeits«-Zeit.

Buch zum Thema  — Zeuske,  Michael. Sklaverei.  Eine Menschheitsgeschichte  von der  Steinzeit bis heute,  Stuttgart: Reclam, 2018  (Übersetzung ins  Spanische: Bilbao 2018). 

In diesem Sinne gibt es auch in Europa  viele Sklavereien und sie sind alltäglicher  als wir es wissen und wünschen. Und die  Liste ist lang, Kindersklaverei, Sexsklaverei  (oft gemischt), Zwangsehe, zeitweilige Sklaverei  zum Beispiel während Migrationen,  illegale Beschäftigung in extremen Routinearbeiten,  hier die Landwirtschaft, vor allem im Süden Europas,  sweat shops, illegale Produktion,  etwa von Kleidung,  Schuld-Sklaverei, religiöse Sklaverei, hierzu zählen auch  die andauernden Skandale  in religiösen Orden und  Erziehungseinrichtungen. 

Wie viele Sklaven gibt es weltweit und in Europa  heute? 

Da es keine legale Definition existierender Sklavereien  mehr gibt – weil die legal nicht existieren, ist die  Spannbreite dessen, was zu »Sklaverei« gerechnet wird,  sehr weit – zwischen 27 und 270 Millionen Menschen  weltweit; für die EU werden zwischen 800.000 und einer  Million geschätzt. In Deutschland existiert formal keine  Sklaverei mehr – aber auch hier gibt es durchaus informelle  Sklavereien und Menschenhandel.  Wo gibt es die meisten Sklaven?  Die Walk Free Foundation, eine Nichtregierungsorganisation,  die sich gegen Sklaverei engagiert, schätzt die  Zahl der Menschen, die moderner Sklaverei ausgesetzt  sind, für das Jahr 2017 auf 35,8 Millionen. Davon entfallen  61 Prozent auf nur fünf Länder – Indien (Zwangsarbeit,  Zwangsprostitution, Schuldsklaverei), China (Zwangsarbeit  und Kinderhandel), Pakistan (Zwangsarbeit für  Schuldner), Usbekistan (Baumwollplantagen) und Russland  (Menschenhandel, Zwangsarbeit). 

In Deutschland gilt ein gesetzlicher Mindestlohn  von 8,84 Euro pro Stunde. Kann man Menschen die  unterhalb dieses Lohns arbeiten als Sklaven  bezeichnen? 

Nein. Aber es gibt durchaus eine Debatte, vor allem  in Brasilien, wieweit man die Definition von »moderner  Sklaverei« ziehen sollte, so zum Beispiel auch in Bezug  auf Selbstausbeutung / Selbstversklavung oder Kinder /  Eliten-Sklaverei im Sport oder für Models. Das Wichtigste  an der Debatte um moderne Sklaverei scheint mir  die Dimension von Arbeit »wie in der Sklaverei« zu sein.  Darunter fällt alles Dreckige, Schmutzige, Ungesunde,  Umweltzerstörerische unter Zwangsbedingungen. 

Und wer versklavt diese Menschen? 

Die historisch beste Antwort darauf ist: Marginalisierte.  Auch marginalisierte Eliten, die schnell und auf  Kosten anderer zu Macht, Status und Reichtum gelangen  wollen. 

Medien berichten immer wieder über Menschen, die  unter unsäglichen Bedingungen Kleidung für die  westliche Welt herstellen. Sind das unsere Sklaven  des 21. Jahrhunderts? 

Einige von ihnen, vor allem Kinder und  Jugendliche, die Schulden abarbeiten müssen,  gehören zu »unseren Sklaven des  21. Jahrhunderts«.  Bei »Abschaffung« wird immer über die USA gesprochen,  aber Brasilien beispielsweise hatte viel mehr  Versklavte. Sogar die Niederlande haben erst 1863 entsprechende  Gesetze verabschiedet. In Afrika, vielen  arabischen Ländern oder in China dauerte es noch bis  ins 20. Jahrhundert. In dem Buch analysiere ich das Verhältnis  von formaler Abschaffung, Verschleierung und  realer Weiterexistenz von Sklavereien: Kein Ende nach  dem Ende. 

Hat Zwangsarbeit nur mit wirtschaftlichem Profitstreben  zu tun oder gibt es auch andere Gründe  Menschen zu versklaven? 

Es hat immer auch mit Macht über andere Körper  und Status zu tun. 

Sie sagen, dass es Sklaverei schon in der Steinzeit  gab. Bedeutet das, dass es für bestimmte Bevölkerungsgruppen  immer ein Problem sein wird? 

Sklavereien haben sich natürlich historisch entwickelt  und sind nur selten ewig gewesen, wobei es für Familien  oder bestimmten Bevölkerungen die mutterrechtliche  Fixierung der Sklaverei durchaus gab: im Römischen  Recht etwa gab es eine Ewigkeitsklausel durch die Formel  »Sklavenbauch gebiert Sklaven«. Aber in der historischen  Abfolge und in der globalhistorischen Breite hat es bisher  immer mehr Sklavereien gegeben als wir wissen – in  immer neuen Formen. Ändern könnte sich das nur durch  wirklich klare globale Arbeitsregeln und -gesetze sowie –  noch wichtiger – ihre Durchsetzung. Aber das haben wir  ja noch nicht mal in der EU.  Glauben Sie, dass Sklaverei irgendwann verschwinden  wird?  Sklavereien sind nicht mehr so kompakt wie die großen  Sklavereien im Süden der USA bis 1865, oder auf  Kuba und in Brasilien. Dennoch gibt es absolut gesehen  heute sogar mehr versklavte Menschen als im 19. Jahrhundert.  Insofern sehe ich keinen Grund für übertriebenen  Optimismus.