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Mit Lichtgeschwindigkeit durch den Tunnel

Neue Methode eliefert neue Erkenntnisse über bisher unverstandene Eigenschaften von Materialien

Ein internationales Team unter der Leitung von Kölner Physikern und Physikerinnen hat am Teilchenbeschleuniger Europäisches Synchrotron in Grenoble eine Methode entwickelt, die neue Erkenntnisse über bisher unverstandene Eigenschaften von Materialien liefert.  

 

Die Nacht war kurz für Professor Dr. Markus Grüninger und seine Kolleginnen und Kollegen. Die Messzeit am Europäischen Synchrotron (ESRF) in Grenoble ist kostbar und muss bestmöglich genutzt werden. Gespannt betrachten sie die Ergebnisse der Messungen der Nacht und diskutieren, wie man den neu beobachteten Effekt noch besser bestimmen kann. Mit seinem Team vom Sonderforschungsbereich 1238 »Control and Dynamics of Quantum Materials« der Universität zu Köln führt Grüninger am ESRF Röntgen- Streuexperimente an Kristallen durch. Die Ergebnisse bestätigen eine 25 Jahre alte Vorhersage der Theorie und etablieren eine neue Variante der Röntgenspektroskopie, mit der die Eigenschaften von Festkörpern – hier konkret die Symmetrie von elektronisch angeregten Zuständen – bestimmt werden können.

Europäisches Synchrotron (ESRF) — Jährlich kommen etwa 9.000 Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler für Messungen nach Grenoble. In einem Synchrotron werden Elektronen innerhalb eines geschlossenen, ring- förmigen Tunnels durch Magnete extrem stark beschleunigt und gebündelt. Durch die extreme Beschleunigung der Teilchen kann das Synchrotron eine besonders energiereiche elektromagnetische Strahlung von unterschiedlicher Wellenlänge erzeugen, insbesondere starke Röntgenstrahlung. Die Strahlung des Synchrotrons wird in der Materialforschung und in der Medizin eingesetzt.

Dieses Werkzeug soll dazu beitragen, Materialien mit fundamental neuen Eigenschaften zu entwickeln, beispielsweise Quantenspinflüssigkeiten mit fraktionalen Anregungen, derzeit eines der zentralen Themen in der Festkörperphysik. Neben den Kölnern gehören Kollegen vom Leibniz-Institut für Festkörper und Werkstoffforschung (IFW) in Dresden sowie von Hochschulen aus Italien, Schweden, Russland und vom ESRF Grenoble zum Team.

Energiereichste Quelle für Röntgenstrahlen

Im Stadtbild von Grenoble zeigt sich das Europäische Synchrotron als riesiges, ringförmiges Tunnelgebäude mit einem Umfang von 844 Metern. Dort werden Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dann durch Magnete abgelenkt, wodurch Röntgenstrahlung entsteht, die 100 Milliarden Mal stärker ist als bei Röntgengeräten in Krankenhäusern. Das ESRF ist damit die weltweit energiereichste Quelle für Röntgenstrahlen. Angedockt an den Ringtunnel sind viele Experimentierräume (Beamlines), in denen jährlich etwa 9.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt Experimente durchführen, die diese außergewöhnliche Röntgen-Strahlungsquelle benötigen.

Das Kölner Team arbeitet an der RIXS-Beamline. RIXS steht für Resonant Inelastic X-ray Scattering, resonante inelastische Röntgen-Streuung. Diese Methode hat in den letzten Jahren eine rasante technische Entwicklung erlebt. Bei dem Experiment werden Röntgenstrahlen inelastisch an Kristallen gestreut, wodurch im Kristall Anregungen erzeugt werden. Einfachstes Beispiel hierfür ist die Anregung von Elektronen in energetisch höher liegende Orbitale. Das Spektrometer misst das gestreute Röntgenlicht, wodurch die Eigenschaften der erzeugten Anregungen und letztlich des Kristalls bestimmt werden.

Klassisches Doppelspaltexperiment als Ursprung aktueller Forschung Ihren Ursprung haben die von Grüninger und seinen Kollegen durchgeführten Messungen in dem sogenannten Doppelspaltexperiment, das bereits vor mehr als 200 Jahren vom englischen Physiker und Augenarzt Thomas Young durchgeführt wurde. Young hatte Licht durch zwei parallele Spaltöffnungen geleitet. Nach der seinerzeit herrschenden Auffassung, dass Licht aus Teilchen bestünde, würde man erwarten, dass sich hinter diesem Doppelspalt zwei parallele Lichtstreifen zeigen würden. Stattdessen erschienen hinter dem Doppelspalt aber mehrere, unterschiedlich intensive parallele Lichtstreifen.

Diese sogenannten Interferenz-Muster waren das Ergebnis der Überlagerung von Lichtwellen, die an den beiden Spalten gebeugt wurden. Wenn Wellenberge, die durch die Beugung des Lichts an einem Spalt entstanden sind, auf Wellenberge treffen, die vom zweiten Spalt stammen, dann verstärken sich die beiden Lichtwellen und es erscheint an dieser Stelle ein intensives Lichtband. Ein dunkler Streifen entsteht dagegen dort, wo sich die Wellen aus den beiden Spalten gegenseitig auslöschen. Vergleichbare Muster lassen sich auch mit beispielsweise Wasserwellen realisieren.

Young wies damit nach, dass Licht Welleneigenschaften besitzt. Aus moderner Sicht weist Licht sowohl Teilchen- als auch Wellen- Eigenschaften auf, das nennt die Physik Welle-Teilchen-Dualismus. Experimente im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts zeigten, dass nicht nur Licht am Doppelspalt Interferenz-Muster erzeugt, sondern dass dies auch für Materie wie Elektronen und Moleküle gilt. Röntgenstrahlen gehören wie sichtbares Licht zur elektromagnetischen Strahlung und können daher die gleichen Interferenz-Effekte zeigen. Allerdings ist ihre Energie viel größer und daher ihre Wellenlänge viel kleiner, vergleichbar zur Größe eines Atoms. Entsprechend müssen die »Spalte« für ein Röntgen-Experiment mikroskopisch klein sein.

Grüninger und sein Team beleuchten einen Iridiumoxid-Kristall (Ba3CeIr2O9) mit im Synchrotron erzeugten, stark gebündelten und sehr energiereichen Röntgenstrahlen. »Die Beugung der Strahlen findet in unseren Experimenten an zwei benachbarten Iridium-Atomen im Kristall statt. Diese agieren wie ein mikroskopischer Doppelspalt. Das erreichen wir durch geschickte Wahl der Struktur des Kristalls und der experimentellen Parameter«, sagt Grüninger, der neben seiner Tätigkeit im SFB 1238 eine Arbeitsgruppe im II. Physikalischen Institut leitet.

Angeregt durch eine Idee aus dem Institut für theoretische Physik wurde der untersuchte Kristall von Professorin Dr. Petra Becker am Institut für Geologie und Mineralogie (Abteilung Kristallographie) gezüchtet. Es handelt sich um die ersten Kristalle dieses Materials, über dessen Eigenschaften vor diesen Experimenten so gut wie nichts bekannt war. Daher haben die Wissenschaftler den Kristall zunächst mit Hilfe verschiedener Methoden charakterisiert. Die Analyse der Messdaten erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Theoretische Physik. »Das Ganze lebt vom Team. Diese intensive Kooperation ist eine klare Stärke unseres Sonderforschungsbereichs «, sagt Grüninger.

Forschen am Synchrotron

Diese Röntgen-Experimente am Synchrotron unterscheiden sich erheblich von dem Röntgen, wie wir es vom Arzt kennen – einem Schattenwurf. Die Forscherinnen und Forscher interessieren sich vielmehr für die »abgelenkten« Röntgenstrahlen, die an den Iridium-Atomen des Kristalls gestreut werden. Hinter dem Kristall überlagern sich die gestreuten Strahlen und zeigen wie beim klassischen Doppelspaltexperiment Interferenz-Muster. Bei der verwandten und bestens etablierten Methode der elastischen Streuung, das heißt ohne Energieübertrag, wird so die Struktur des Kristalls bestimmt. Das Kölner Team untersucht dagegen die inelastische Streuung, bei der der Kristall Energie aufnimmt. Mit dieser Energie werden im Kristall Anregungen erzeugt.

Angeregte Atome

Um die zentrale Rolle dieser Anregungen für die Festkörperphysik zu verdeutlichen, vergleicht Grüninger die untersuchten Kristalle mit Musikinstrumenten: »Wenn man etwas über ein Instrument, seinen Klang, seine Eigenschaften wissen will, muss man es spielen, es also in einen angeregten Zustand bringen.« Der Schlüssel bei den RIXS-Experimenten ist die Resonanz. Dabei wird der Kristall mit Röntgenstrahlung einer ganz bestimmten Wellenlänge bestrahlt, die für jedes Element, hier Iridium, charakteristisch ist. Durch die Resonanz sieht das Experiment nur die Iridium-Atome im Kristall, der Doppelspalt-Charakter steckt in der gewählten Kristallstruktur. Diese Auswahl der Resonanz-Wellenlänge ist nur an einem Synchrotron möglich.

Die große technische Schwierigkeit bei den RIXS-Messungen der angeregten Zustände ist die notwendige Energieauflösung. »Wir arbeiten bezüglich der Energie der Photonen mit einer so hohen Genauigkeit als würde man eine Strecke von einem Kilometer Länge bis auf einen Millimeter genau messen«, erläutert Grüninger. Die besondere Herausforderung ist dabei, diese hohe Energieauflösung genau bei der charakteristischen Resonanz- Wellenlänge zu erreichen. Mit der erforderlichen Genauigkeit ist das Experiment erst seit wenigen Jahren und nur an zwei Synchrotronen weltweit möglich, zu denen das ESRF in Grenoble zählt. »Die Strahlzeit am Synchrotron muss bestmöglich genutzt werden. Jede Minute, in der nicht gemessen wird, tut weh. Es ist daher wichtig, dass alle Experimente gut vorbereitet werden«, sagt Grüninger. Sechs Tage haben er und sein Team Zeit, um ihre Experimente am Team Zeit, um ihre Experimente am Synchrotron durchzuführen – dabei dauert eine Messung zwischen 30 und 60 Minuten. Anschließend werden die Parameter geändert und es wird eine weitere Messung durchgeführt. Die knisternde Atmosphäre bei diesen Messungen resultiert aus der Aufgabe, in der knappen Zeit die neu gewonnenen Erkenntnisse zu verstehen und darauf zu reagieren, das heißt die Parameter der weiteren Experimente optimal anzupassen.

Die Interferenz-Muster der inelastisch gestreuten Röntgenstrahlen liefern Informationen über die Symmetrie und damit den Charakter der untersuchten Anregungen. Im konkreten Beispiel von Ba3CeIr2O9 wiesen die Physiker die entscheidende Rolle der Spin-Bahn-Wechselwirkung nach, was so für diese Struktur nicht erwartet wurde. Mit diesem Experiment hat das Forschungsteam die Röntgenspektroskopie weiterentwickelt, indem die Bedeutung der Interferenz- Muster bei der inelastischen Streuung in den Vordergrund gerückt wurde. In Zukunft sollen mit diesem Verfahren noch zahlreiche weitere Materialien untersucht werden, um deren Eigenschaften besser kennenlernen und verstehen zu können. Erste vielversprechende Messungen auf der Suche nach den fraktionalen Anregungen der oben erwähnten möglichen Quantenspinflüssigkeit liegen schon vor.Synchrotron durchzuführen – dabei dauert eine Messung zwischen 30 und 60 Minuten. Anschließend werden die Parameter geändert und es wird eine weitere Messung durchgeführt. Die knisternde Atmosphäre bei diesen Messungen resultiert aus der Aufgabe, in der knappen Zeit die neu gewonnenen Erkenntnisse zu verstehen und darauf zu reagieren, das heißt die Parameter der weiteren Experimente optimal anzupassen.

Die Interferenz-Muster der inelastisch gestreuten Röntgenstrahlen liefern Informationen über die Symmetrie und damit den Charakter der untersuchten Anregungen. Im konkreten Beispiel von Ba3CeIr2O9 wiesen die Physiker die entscheidende Rolle der Spin-Bahn-Wechselwirkung nach, was so für diese Struktur nicht erwartet wurde. Mit diesem Experiment hat das Forschungsteam die Röntgenspektroskopie weiterentwickelt, indem die Bedeutung der Interferenz- Muster bei der inelastischen Streuung in den Vordergrund gerückt wurde. In Zukunft sollen mit diesem Verfahren noch zahlreiche weitere Materialien untersucht werden, um deren Eigenschaften besser kennenlernen und verstehen zu können. Erste vielversprechende Messungen auf der Suche nach den fraktionalen Anregungen der oben erwähnten möglichen Quantenspinflüssigkeit liegen schon vor.