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Meine Begegnung mit…dem Nobelpreisträger Kurt Alder

Professor Dr. Gerhard Uhlenbruck erzählt über seine Bekanntschaft mit dem Nobelpreisträger Kurt Alder

Eine Universität vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch Begegnungen mit außergewöhnlichen Persönlichkeiten. Das geschieht vor allem bei Gastvorlesungen oder durch Professoren, deren Charisma einen nachhaltig beeindruckt. Für mich gehörte dazu Kurt Alder, dessen  hervorragende Chemie-Vorlesung auch für Mediziner Pflicht war. Die Vorlesung war das, was man heute Kult nennt: Immer wieder ein Erlebnis, was sich einprägte. Schon bevor er den Nobelpreis bekam, war uns Studenten klar, dass es ich hier um einen großartigen Wissenschaftler und  Lehrer handelt, dessen Ausstrahlung uns in seinen Bann zog. Nicht nur die brillante Vorlesung, sondern auch das Ambiente des großen Hörsaals im Chemischen Institut schufen eine faszinierende Atmosphäre, nicht zuletzt durch die beidseitigen großen Fensterfronten, die dem Ganzen etwas von einer "Open Air" Veranstaltung verliehen. Man muss sich einmal vorstellen, dass dieses Gebäude vor dem Krieg noch "Augusta-Hospital" hieß!

Wenn Alder den Hörsaal betrat, hatte sein Assistent bereits auf den Tafeln hinter dem langgestreckten Labor-Tisch Punkt für Punkt und Formel nach Formel den wesentlichen Ablauf der Vorlesung aufgezeichnet, ein Grund für viele, einige Zeit früher den Saal zu bevölkern, um sich Notizen zu machen. Im Verlaufe der Vorlesung musste es mucksmäuschenstill sein. Nur Prof. Alder redete und erklärte die Experimente, die bereits vorbereitet waren. Während er sprach, ging Alder immer wieder auf und ab hinter dem Labor-Tisch. Nach jedem zweiten oder dritten Satz räusperte er sich in geradezu unnachahmlicher Weise: Es wurde zu seinem rhetorisches Markenzeichen, hatte aber den tollen Effekt, dass dadurch sein Vortrag in aufregend kurzatmiger Weise eine fast atemlose Spannung entwickelte. 

Man muss sich Alder als etwas gedrungen und leicht übergewichtig vorstellen, die Mediziner würden heute von einem Metabolischen Syndrom sprechen, an dessen Folge er später auch sterben sollte. Kurt Alder vergaß bei seinen Ausführungen aber nicht, sein Publikum scharf im Auge zu behalten: Wehe, es wurde getuschelt!  Einmal entdeckte er eine strickende Medizin-Kollegin von mir: Er hielt inne, blickte sie minutenlang durchdringend an. so lange, bis sie mit hochrotem Kopf aufstand und den Hörsaal verließ. Erst dann fuhr er in seiner Rede fort. 

Störungen duldete er nicht, denn warum auch? Hielt er doch auch uns in Atem und Erstaunen nicht nur durch die Ästhetik der Formeln und ihre Entstehung, sondern auch durch Zwischenbemerkungen, die zeigten, mit welch einem profunden Wissen er in gleicher Weise auf anderen Gebieten zu glänzen wusste. Seine umfassende Bildung hat uns immer wieder verblüfft. Die Art, wie er uns Mediziner beim Physikum prüfte, war ähnlich: Wenn man ihm zeigte, dass man die Chemie nicht nur als notwendiges Übel betrachtete, mündete so eine Prüfung oft in ein Gespräch über den philosophische Aspekte des Arztberufs, über Goethes Faust oder über Kunst. Man war angenehm überrascht und fühlte sich dadurch mehr geehrt als durch die Examens-Note. 

Später, im Rahmen meiner Doktorarbeit in der Physiologischen Chemie, habe ich ihn öfter getroffen, da einige seiner Studenten ebenfalls dort mit ihren Diplom-Arbeiten bzw. Dissertationen beschäftigt waren. Da war er schon Nobelpreisträger, was in seinem Verhalten aber nichts änderte: Obwohl er aus Oberschlesien stammte, kam er in Köln gut an! Das lag an einem sehr feinen Sinn für Humor und Verständnis für alles Menschliche, was er schmunzelnd und geistreich kommentieren konnte. Es machte ihm nichts aus, abends noch um 23 Uhr die Mitarbeiter zu fragen, ob man jetzt nicht noch ein Tässchen Tee kochen sollte, denn selten gingen vor 23 h die Lichter in den Labors aus (und Spülfrauen gabs damals nicht: Zu teuer!). Die Fama besagt, dass bei einer dieser Teestündchen auch der Plan "gemeinsam" (!) ausgeheckt worden sei, eine Heirats- Annonce (ohne Nobelpreistitel!) für ihn aufzusetzen und an die FAZ zu schicken. Wie dem auch sei: Er bekam auf diese Weise die beste und wohl passendste Frau, die man sich nur hätte denken können! Nun hatte  er endlich Beistand für alle die Veranstaltungen, bei denen ein Nobelpreisträger nun mal auftreten muss!

Es ist schwer über Kurt Alder zu schreiben, da sein Freund, PD Dr. Gerhard Stein, in den Kölner Universitätsreden Nr. 22 einen menschlich anrührenden und sehr bewegenden Aufsatz im Rahmen einer Gedenkfeier über ihn verfasst hat. Damals durfte ich dabei sein: Das war alles andere als cool und ich habe es erlebt, dass sich keiner der hochkarätigen Teilnehmer seiner Tränen geschämt hat. So etwas geschieht sicher ganz selten an einer Universität: Eine alle ergreifende Emotionalität eines kongenialen Vortrags, eine freundschaftlich-ehrliche Verbundenheit, welche die menschlich-allzu menschlichen aber auch kritischen Aspekte einer grandiosen Persönlichkeit beleuchtet.. Ich habe diese sensible Rede oft in meinen Vorträgen zitiert, weil sie beispielhaft zeigt, wie kreativ und stimulierend eine Freundschaft zwischen Wissenschaftlern sein kann!  

Nicht erwähnt hat Gerhard Stein jedoch einen Vorgang, der sehr bitter für Kurt Alder war. Als er einige von seinen Mitarbeitern zu einem ausgiebigen Kuchenessen einmal ins Cafe Wahlen am Ring eingeladen hatte, und alle in fröhlicher Stimmung waren, wurde er von dem damaligen Besitzer etwas unwirsch gebeten, das Lokal zu verlassen. Der Hinweis wer da saß, wurde höhnisch ignoriert. Nun ja, es war leider so, dass die verschiedenen Diene und Philodiene einen nicht für jeden Geschmack angenehmen Geruch verbreiteten. Man konnte sie sogar entlang der Zülpicher Str, riechen. Er wäre nicht Kurt Alder gewesen, wenn ihm dabei nicht der Gedanke gekommen wäre, durch geringfügige Änderungen an den Molekülen aus stinkenden Strukturen parfüm-ähnliche Duftstoffe zu synthetisieren. Tatsächlich ist ihm  das dann auch gelungen. Übrigens wohnte er "op dr schäl sick", und da ist er auch begraben.

Und natürlich gibt es rechtsrheinisch auch eine Kurt-Alder-Str.!

Professor Dr. Gerhard Uhlenbruck war bis zu seiner Emeritierung 1996 Direktor des Instituts für Immunbiologie der Medizinischen Fakultät   

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