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Länger gesund leben mit den richtigen Mikroben

Das Mikrobiom besteht aus Billionen winzig kleiner Organismen, die in und auf uns Menschen leben. Die Bakterien und Pilze finden sich vor allem im Darm, aber auch auf der Haut und anderswo im Körper. Dass sie unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden entscheidend prägen, ist seit Jahren bekannt. Dass sie auch beim Altern eine zentrale Rolle spielen, wird dagegen erst in jüngster Zeit immer offensichtlicher. Filipe Cabreiro vom Alternsforschungs-Exzellenzcluster CECAD im Gespräch.

Das Gespräch führte Susanne Kutter

Professor Cabreiro, was haben die Kleinstlebewesen unseres Mikrobioms mit dem Thema Altwerden zu tun?

Sehr viel. Wir wissen heute mit Sicherheit, dass eine Störung oder eine positive Veränderung des Mikrobioms des Darms – der sogenannten Darmflora – direkte und ursächliche Auswirkungen auf Langlebigkeit und Gesundheit haben. Es ist zwar noch ein recht junges Forschungsfeld, aber wenn wir uns die Zunahme der Veröffentlichungen zum Mikrobiom anschauen, dann explodiert das Thema geradezu: In den 2000er Jahren gab es kaum Arbeiten dazu, um 2010 waren es etwa 1.500 pro Jahr. Jetzt, im Jahr 2023, haben wir bereits zur Jahresmitte über 130.000 Publikationen.
 

Wie kamen Sie darauf, dass ein Zusammenhang zwischen Darmflora und Altern bestehen könnte?

Das war nicht meine Idee. Sie ist schon über 100 Jahre alt und stammt von Ilja Iljitsch Metschnikow, der im Jahr 1908 für seine Arbeiten über Immunität gemeinsam mit Paul Ehrlich den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Metschnikow glaubte fest daran, dass das Mikrobiom die Langlebigkeit reguliert und trank täglich Kefir – ein Getränk, das besonders viele Milchsäurebakterien enthält, noch mehr als Joghurt oder Sauermilch. Er prägte damals schon den heute noch gebräuchlichen Namen Probiotikum dafür und schrieb einen Aufsatz, der »Lebensverlängerung« hieß. Der Untertitel lautete »optimistische Studien«, denn er hatte absolut keine Beweise für seine These. Aber basierend auf seinen Arbeiten zur Immunität ging er davon aus, dass die »guten« Bakterien aus dem Kefir schädliche Bakterien verdrängen, damit Entzündungen verhindern und so Altern und Tod hinauszögern könnten.

 

Der Nobelpreisträger Ilja Iljitsch Metschnikow vermutete bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, dass »gute« Bakterien die krankmachenden verdrängen können. Das funktioniert besonders gut bei unserer Darmflora.

Und – hat es funktioniert? Ist er steinalt geworden?

Tatsächlich hatte Metschnikow, als er 1916 starb, mit 71 Jahren ein für damalige Verhältnisse recht hohes Alter erreicht. Aber das ist natürlich kein Beweis, sondern eher anekdotisch. Im Grundsatz hatte er mit seinen Überlegungen aber vollkommen recht. Das können wir heute klar belegen.

Wie sehen die modernen Beweise dieser Theorie aus? Die direkteste Verbindung, die wir finden konnten, ist dass sich die Lebensspanne – und hier vor allem die gesunde Lebenspanne – durch die Übertragung des Mikrobioms von jüngeren Tieren auf ältere Tiere drastisch verlängert. Denn jüngere Mikrobiome verfügen über eine höhere Anzahl nützlicher Mikroben als ältere. Das wurde bei verschiedenen Modellorganismen gezeigt: bei Fliegen, Fischen und Mäusen.
 

Wie müssen wir uns das vorstellen, die Übertragung des Mikrobioms?

Das klingt jetzt vielleicht nicht so appetitlich… Es ist aber auch in der Humanmedizin ein durchaus etabliertes und sehr hilfreiches Verfahren und heißt Stuhl-Transplantation. Das wird vor allem bei Menschen mit Clostridium difficile-Infektion angewandt, die schwerste Entzündungen des Darms hervorruft. Dieses Bakterium – wir nennen es kurz C. diff. – ist ein häufiger Bestandteil des Mikrobioms. Wir alle haben es. Aber oftmals gewinnt es nach einer Antibiotika-Behandlung Überhand, denn es kann sich recht gut gegen Antibiotika schützen.

Während alle anderen Mikroben durch die Antibiotika abgetötet werden, verfällt dieser Typ in eine Art Winterschlaf, denn er kann sehr widerstandsfähige Sporen bilden. Sobald die Behandlung endet, keimen diese Sporen aus, besiedeln den Darm und werden zu einer ernsten Infektion, die sich dann nur sehr schwer mit anderen Antibiotika behandeln lässt. Aber diese Mikrobe hat eine Schwäche: Sie kommt mit der Gesellschaft anderer Mikroben nicht besonders gut zurecht. Wird solchen Patienten nun Stuhl und damit eine Vielzahl anderer Mikroben per Koloskopie übertragen, lässt sich die Infektion zurückdrängen.
 

Einfach so, von Mensch zu Mensch?

Natürlich muss der spendende Mensch gesund sein – und das Transplantat wird vor der Übertragung auf Krankheitserreger und Viren untersucht. Aber nach einer solchen Behandlung bessern sich die Symptome meist sehr schnell. Die Erfolgsrate bei der Ausrottung oder Kontrolle der C. diff.-Infektion liegt bei etwas über 90 Prozent, das ist doch wirklich bemerkenswert, oder? Die Patienten sind wieder vollkommen gesund und haben keine Infektion mehr.

Ganz generell und weit über diese Darmerkrankungen hinaus ist es aber für uns Forschende hochinteressant, dass man Mikroben grundsätzlich mit anderen Mikroben kontrollieren kann. So ist die Übertragung von Fäkalien zu einem sehr wichtigen Forschungsthema geworden – auch in der Alternsforschung Inwiefern unterschiedet sich das Mikrobiom von alten und jungen Menschen? Es unterscheidet sich deutlich, wobei wir hier über ein sehr, sehr komplexes Ökosystem reden. Wir haben Tausende verschiedener Mikroben gefunden, die alle Moleküle produzieren, die wir noch nicht einmal richtig charakterisiert haben. Wir verfügen noch nicht über die Werkzeuge, um vollständig zu verstehen, was sie alle tatsächlich tun.

Filipe Cabreiro stellt ein Team der besten Mikroben zusammen, die uns in Zukunft gesünder altern lassen könnten.

Grundsätzlich sieht es so aus, dass wir unser Mikrobiom meist sehr früh im Leben von unseren Müttern übertragen bekommen. In den ersten vier Jahren ändert sich daran noch viel, vor allem, wenn wir beginnen, feste Nahrung zu uns zu nehmen. Aber dann stabilisiert es sich und bleibt bis zum mittleren Alter sehr stabil. Doch wenn wir älter werden, geht diese Stabilität verloren und unser Mikrobiom wird wieder vielfältiger. Wir wissen nicht genau, was diese Veränderung auslöst, aber ein klares Kennzeichen für das Altern ist, dass unsere Mikrobiome sich negativ verändern. Grundsätzlich kommt es zu einer Anhäufung bestimmter Mikroben, die eher mit Krankheiten als mit Gesundheit in Zusammenhang stehen.
 

Ist das nur beim Menschen so oder auch bei Tieren?

Das betrifft auch Tiere. Da solche typischen Veränderungen auch bei Mäusen, Fischen und Fliegen auftreten, schlossen Forscher und Forscherinnen, dass viele altersbedingte Veränderungen mit dem Darm zusammenhängen müssen. Denn auch der Darm verändert sich im Alter: Die Darmwand wird durchlässiger, sodass zum Beispiel einige Moleküle von den Mikroben in den Blutkreislauf gelangen. Das wiederum löst Entzündungen aus, die dann zu noch mehr Durchlässigkeit führen. Es ist ein Teufelskreis, denn die Entzündungen und die erhöhte Permeabilität führen auch zu weiteren Veränderungen im Darmmilieu, sodass sich »ungesunde« Mikroben in Hülle und Fülle vermehren.


Lässt sich dieser Prozess irgendwie stoppen?

Exakt das ist es, was wir untersuchen: Können wir die Abläufe und Zusammenhänge verstehen und dann das Geschehen umkehren? Die bisher einzige Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, das Mikrobiom von jüngeren Organismen zu transplantieren. Das wurde so bei Fischen sehr erfolgreich gemacht: Man nimmt das Mikrobiom, zum Beispiel von einem jungen Fisch, und transplantiert es einem Fisch mittleren Alters. Die Kontrolle besteht dann darin, das Mikrobiom eines anderen Fischs mittleren Alters auf einen weiteren Fisch mittleren Alters zu verpflanzen. Dann schauen wir, wie lange die Tiere leben und messen kognitive Funktionen, körperliche Leistungsfähigkeit und andere Parameter, um den Gesundheitszustand zu bestimmen.
 

Wie ging die Sache aus?

Die Fische, die das Mikrobiom von den Jungfischen erhalten hatten, lebten tatsächlich viel länger als diejenigen, die die Kontrolle erhielten. Das zeigt, dass allein die Anwesenheit verschiedener Mikroben ausreicht, um die Lebensdauer zu verlängern. Auch geht ein »verjüngtes« Mikrobiom tendenziell mit einer erhöhten Lebenserwartung und einer verbesserten Gesundheit einher.

Aus menschlichem Stuhl isolierte Bakterien könnten eines Tages die Symptome einiger altersbedingter Krankheiten lindern.

Wie lässt sich das auf den Menschen übertragen?

Das Problem beim Menschen ist, dass sich unser Mikrobiom viel stärker verändert als das von Tieren, da wir unsere Ernährung anders als Fische und Mäuse ständig ändern. Tiere haben meist immer die gleiche Ernährung und es ist viel einfacher, den Stuhl von Tieren zu verpflanzen und das dann kontrolliert zu untersuchen. Bei einem schweren Erbleiden, der Progerie, die zum frühzeitigen Greisenstadium im Kindesalter führt, könnte eine solche Therapie hilfreich sein. Aber grundsätzlich wollen wir ja nicht die Stuhlverpflanzung als Methode etablieren. Wir suchen nach einer etwas eleganteren und praktikableren Lösungen.
 

Wie könnten die aussehen?

Anstatt diesen Massentransfer per Stuhltransplantation durchzuführen, konzentrieren sich manche Forschungsgruppen ganz reduktionistisch auf eine einzige Mikrobe. Wir glauben aber, dass das der enormen Komplexität an Mikroorganismen in unserem Darm nicht gerecht wird und versuchen eine Art Team zusammenzustellen – mit 15 Teammitgliedern. Solch ein Mikroben-Cocktail ließe sich dann an vielen verschiedenen Menschen testen, sodass wir dann wüssten: Okay, diese 15 Stämme, wenn sie all diesen Menschen verabreicht werden, sind sicher und haben tatsächlich messbare Vorteile.
 

Wie weit sind Sie damit?

Bisher sind wir noch dabei, die richtigen Kandidaten für unser Team zu identifizieren. Und dazu sind die Bedingungen hier in Köln am CECAD optimal. Denn wir arbeiten hier mit Mäusen, die völlig keimfrei aufgezogen werden. Sie leben in Blasen, in denen es keine Mikroben gibt. Das heißt, sie haben auch keinerlei Darmflora, außer derjenigen, die wir ihnen einpflanzen. So sind wir in der Lage, Kausalitäten nachzuweisen, also zu zeigen, welche Rolle genau diese und jene Mikrobe auf die Physiologie des Wirtstieres hat. Anhand dieser keimfreien Tiere lassen sich Interventionen testen und wir verstehen so auch, wie die Intervention eines Medikaments, das die Lebensdauer verbessern könnte, von der Anwesenheit dieser Mikroben abhängt. Und wir können testen, ob und wie die Einbringung bestimmter hilfreicher Mikroben besonders gut gelingt – und ob sie die Lebensdauer oder den Gesundheitszustand sonst etwas verändern. Man kann alle Arten von Manipulationen durchführen, die bei herkömmlichen Mäusen sehr schwierig sind. Das ist tatsächlich einer der Gründe, warum ich aus London hierher nach Köln gekommen bin.

Kefir: das fermentierte Sauermilchprodukt aus der Kaukasusregion enthält besonders viele Milchsäurebakterien und gilt als gesundheitsfördernd.

Wäre es nicht einfacher, täglich Kefir zu trinken? Oder eines der vielen probiotischen Lebensmittel oder Präparate zu schlucken, die es seit Jahrzehnten gibt?

Versuchen kann man das, aber es ist eine sehr unwissenschaftliche Herangehensweise und dürfte wohl vor allem den Herstellern helfen. Die Probiotika-Industrie ist eine Multimilliarden- Industrie, aber für kein einziges Probiotikum ist der Beweis seiner Wirksamkeit erbracht. Es sind Zufallsfunde und die Erklärungsmodelle könnten stimmen – oder auch nicht. Viele der Probiotika, die man in Geschäften kauft, sind zudem gar nicht mehr am Leben. Es sind nur tote Zellen. Andere nimmt man zu sich, aber sie bleiben nicht im Körper, sie werden einfach wieder ausgeschieden. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich im Körper vermehren.


Also sollten wir auf Ihren Mikroben-Cocktail warten?

Besser wäre das. Wir wollen ein Set von Mikroben etablieren, bei denen wir tatsächlich genau wissen, was jede einzelne tut und was sie produziert. Zusätzlich werden wir diese Mikroben dann auch gentechnisch designen, um sie mit einer Art Not-Aus-Knopf zu versehen. Denn stellen Sie sich vor, diese hilfreichen Organismen würden sich sehr gut ansiedeln im menschlichen Darm, dann aber doch irgendwelche unvorhergesehenen Nebenwirkungen haben. Dann müssen wir sie ja irgendwie wieder loswerden. Sie mit Antibiotika auszumerzen wäre sehr unelegant, denn dann leiden auch alle anderen, natürlich dort vorkommenden Mikroben. Also bauen wir künstlich einen sogenannten Kill-Switch ein: einen Mechanismus, der auf eine für den Rest des Körpers völlig harmlose Substanz reagiert und dann ein Selbstmordprogramm oder die Auflösung der Zellmembran – nur und ausschließlich – bei unseren Designer-Mikroben anschaltet.


Das heißt aber, Ihr Lebensverlängerungs- Cocktail bestünde aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO), die entsprechend unter die GVO-Verordnungen der verschiedenen Länder fallen würden?

Ja, genau so wäre das.


Ob Sie die Menschen dafür begeistern können?

Das wird sicherlich noch eine spannende Diskussion werden. Im Moment lautet die Antwort wohl eher: nein. Ob sich das mit der Zeit ändern wird? Vielleicht. Ich bin allerdings fest davon überzeugt: Wenn wir eines Tages beweisen können, dass dies eine Therapie ist, die wirklich funktioniert und die uns gesund alt werden lässt, dann werden die Menschen deren Nutzen erkennen und sie auch akzeptieren.

 

Das seit 2007 bestehende EXZELLENZCLUSTER CECAD (Cluster of Excellence Cellular Stress Responses in Aging-Associated Diseases) war im Jahr 2007 das erste Exzellenzcluster, das an der Universität zu Köln aufgebaut wurde. Es erforscht die Ursachen, die sowohl dem Altern zugrunde liegen als auch ein breites Spektrum altersassoziierter Krankheiten auslösen. Die molekularen Grundlagen dieser Prozesse sollen verstanden und neue Therapien für altersassoziierte Erkrankungen wie Herz- Kreislauf-Erkrankungen, chronische Nierenerkrankungen, Diabetes, Krebs sowie neurodegenerative Störungen daraus abgeleitet werden. Im CECAD arbeiten interdisziplinär und international eng vernetzt derzeit 61 Forschungsgruppen mit insgesamt über 650 Forscher*innen aus 59 Ländern. Der Standort des CECAD-Forschungszentrums und der nahe gelegenen Max-Planck-Institute für Biologie des Alterns und für Stoffwechselforschung auf dem Life-Science-Campus der Universitätsmedizin tragen dazu bei, verschiedene Kompetenzen an einem Standort zu bündeln.