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Graffiti-Archäologie

DAAD-Programm bringt ägyptische Archäologen nach Köln

Ein Sommertag in der Kölner Nordstadt: Ägyptische Post-Graduates der Archäologie sind in der Herkulesstraße in Neu-Ehrenfeld zugange. Sie vermessen und dokumentieren eine Wand mit modernem Graffiti. Was die Archäologen aus Kairo antreibt, den Straßenkunstwerken im fernen Deutschland mitMaßband und Fotoapparat zu Leibe zu rücken, erklären Tilman Lenssen-Erz und Georg Roth von der Forschungsstelle Afrika.

Mahmoud Salem ist ägyptischer Archäologe und hat an der Faculty of Archaeology der Universität Kairo studiert. Nun steht er an einer Betonwand im Kölner Norden und okumentiert Graffiti. „Just a little step to the left“, ruft Tilman Lenssen-Erz ihm auf Englisch zu und winkt mit der Hand. Zwei Schritte und Salem richtet sein hölzernes Metermaß wieder senkrecht an der Betonwand aus. Seine Kollegin fotografiert derweil die bunten Schriftzüge an der Wand.

Acht Studenten und Studentinnen aus dem Land am Nil folgen konzentriert den Arbeiten an der Mauer. Sie machen Aufzeichnungen und stellen Fragen. „Wir machen das hier, damit unsere Gäste aus Kairo lernen, wie man mit einfachsten Dingen eine nach allen Regeln der Wissenschaft korrekte Aufnahme von archäologischen Daten macht“, erklärt Lenssen-Erz. Die Graffiti dienen dabei als Modell für die Felsbildkunst in Ägypten. „Ein Fotoapparat, ein Notizbuch, ein Kompass, das GPS-Gerät und eine selbstgeschnitzte Messlatte: Das reicht vollkommen.“ Der international anerkannte Felsbildarchäologe ist einer der Dozenten der Studierenden aus Kairo, die am deutsch-ägyptischen DAAD-Ausbildungsprogramm „Environmental Archaeology” teilnehmen.

Die stehen jetzt im Kreis um ihre Kollegin mit der Kamera, denn Lenssen-Erz erklärt, wie man systematisch Bilder macht. „Man muss nachher am Schreibtisch alles rekonstruieren und sich wieder einfühlen können“, sagt er. Und dafür müssen sich die Bilder überschneiden, der Maßstab muss zu sehen sein.
 

ARCHÄOLOGISCHE TECHNIKEN UND FELSBILDER

Wieso lernen die ägyptischen Studierenden in Köln. „Es gibt in Ägypten nicht nur dynastische Wandkunst, sondern auch prähistorische Felsbilder. Da kommen wir mit unserer Expertise ins Spiel“, erklärt Lenssen-Erz. Doch nicht nur die Felsbilder selber zählen: natürliche Verkehrswege, Nahrung, Wasser, Schutz vor den Naturgewalten – der gesamte räumliche Kontext soll aufgenommen werden. Wo ist zum Beispiel die nächste Wasserstelle? „Der nächste Kiosk in diesem Fall“, korrigiert der Archäologe lächelnd. Er weist auf die Zugänge zur Straße, auf die Bänke im Park – von hier kommen die Künstler, dort ruhen sie aus. „Es gibt da eine präzise Ortswahl, die bei Felsbildern über die Jahrtausende unverändert geblieben ist. Da wäre es fahrlässig, nicht das Umfeld aufzunehmen.“

Wäre es aber nicht sinnvoller, das Aufnehmen einer Fundstelle vor Ort in Ägypten zu üben? „Zum einen ist es egal, wo man diese Methoden übt“, so Lenssen-Erz. „Die Techniken bleiben die gleichen.“
 

WISSENSTRANSFER VON THEORIE ZU PRAXIS

„Zum anderen wäre das in Ägypten auch viel zu kompliziert“, ergänzt Georg Roth, der den Lehrgang betreut. „Jede Grabung in Ägypten braucht wegen der Sicherheitsvorkehrungen über ein Jahr Vorlauf. Die Grabungsteilnehmer benötigen eine Sicherheitsüberprüfung, die durch zwei Ministerien geht: durchs Sicherheitsministerium und durchs Antikenministerium.“ Der Archäologe beobachtet seine arabischen Gäste bei ihrer Arbeit, während er spricht. Er koordiniert den internationalen modularisierten Studiengang „MA Environmental Archaeology”, ein vom DAAD gefördertes Ausbildungsprogramm, das unter Leitung von Professor Dr. Bollig und Professor Dr. Tawfik aus Kairo steht. Vier Semester dauert die Fortbildung, drei davon finden in Ägypten statt.

Der Studiengang verfolgt das Ziel, die Fähigkeit des Wissenstransfers bei den Studierenden zu erhöhen. „Was das Pauken von Inhalten und Definitionen angeht, stecken die uns alle in die Tasche“, beschreibt es Roth. „Aber beim Transfer abstrakter Konzepte auf neue Zusammenhänge, da hapert es.“ Die Kölner Ur- und Frühgeschichtler, die international für ihre streng empirische Arbeit bekannt sind, können da weiter helfen.
 

BESSERE MÖGLICHKEITEN DER AUSBILDUNG

Während Roth spricht, sammelt sich die Gruppe wieder um Tilman Lenssen-Erz, der nun die Anwendung des GPS erklärt. „Wir haben hier für unsere Studierenden ganz andere Möglichkeiten als in Kairo“, betont Roth. „Hier gibt es die Technik, die Laboratorien, Bücher oder Artefakte, die sie in die Hand nehmen können. Beim Kollegen Hubert Berke haben sie zum Beispiel das Bestimmen von Tier- und Menschenknochen gelernt.“ Beteiligt am DAAD-Programm sind auch die Kölner Geowissenschaftler. So hören die Studierenden bei Professor Dr. Olaf Bubenzer eine Vorlesung über Geomorphologie, nehmen Sedimentproben. Im Labor werden diese dann gemeinsam analysiert. „In Kairo gibt es dafür kein Labor für Studierende“, so Roth. „Das können sie nur hier lernen.
 

VIEL LERNSTOFF IN WENIG ZEIT

Mahmoud Salem, der Mann der die Graffiti vermessen hat, reicht die Messlatte weiter an einen Kommilitonen und kommt herüber. Eine große Freude sei der Besuch hier in Deutschland. „Das ist eine einmalige Gelegenheit für uns, moderne Technologien praktisch anzuwenden.“ Die Einführung in das Geoinformationssystem hat ihm am besten gefallen. „Das ist etwas, was man in Ägypten sehr selten findet.“ Salem ist wie alle Teilnehmer bereits graduiert. Die praktischen Übungen gefallen ihm: „Was wir hier gerade machen, können wir zu Hause sehr gut gebrauchen. Wir werden archäologische Funde aufnehmen müssen. Das liefert hier die Grundlagen dafür.“ Geologie, chemische Analysen, Archäozoologie, Methodenlehre – der Zeitplan der Studierenden war bis jetzt vollgepackt: „In der kurzen Zeit hatten wir viel zu tun, aber dank der guten Professoren hier hat alles sehr gut geklappt.“

Ein Semester lang werden die Studierenden hier betreut – zwei waren ursprünglich geplant. „Wir alle sind sehr traurig, dass es nur ein Semester sein kann, wir hätten die Studierenden gerne zwei Semester hier bei uns gehabt. So wird aber der Hauptteil des Programms in Ägypten liegen“, sagt Georg Roth.

Ein Sommerregen zieht auf. Erste Tropfen fallen auf die kleine Gruppe in der Herkulesstraße. Roth schlendert mit den anderen zurück zu den Gebäuden der Forschungsstelle. Heute haben die Studierenden aus Kairo das erste Mal die gelernten Methoden angewendet. „Das ist der akademische Zugewinn, der einem auch Spaß macht. Das ist meine persönliche Motivation. Der Lehrerfolg macht’s. Wenn man merkt, dass die Studierenden erst zögerlich und dann immer selbstbewusster die Methoden anwenden.“ Das ist er: der Wissenstransfer von Theorie zur Praxis. „Da kommt man dann aus der Vorlesung und denkt sich: Ja, das ist es. Schöner Tag heute.“