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Gehirn ausser Takt

Neurologen erforschen die grundlegende Frage: Wie schaffen es die hochkomplexen Nervennetzwerke im Gehirn, sich nach einem Schlaganfall zu regenerieren?

Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Knapp 60.000 Menschen sterben jährlich daran, viele lässt der Schlaganfall behindert zurück. Die Rehabilitation ist langwierig, oft können nicht alle Schäden repariert werden. Mediziner forschen deshalb weltweit an neuen, besseren Heilungsmethoden. Professor Gereon Fink von der Klinik und Poliklinik für Neurologie konzentriert seine Forschung auf eine grundlegende Frage: Wie schaffen es die hochkomplexen Nervennetzwerke im Gehirn, sich nach einem Schlaganfall zu regenerieren? Sein Ziel: Er will in Zukunft ohne Operation Patienten helfen können, Patienten wie Marco L.

Als Marco L. an jenem Tag im November erwacht, glaubt er, dass er sterben muss. Der fünfundvierzigjährige Immobilienkaufmann liegt in seinem Bett und kann sich nicht mehr bewegen. Seine Beine sind gelähmt, Teile des Körpers taub. Ihm ist schwindelig und übel. Er erinnert sich: „Ich fühlte nichts, ich habe gedacht, meine letzte Stunde schlägt. Ich konnte mich nicht bemerkbar machen – nichts.“

Marco L. gelingt es, mit letzter Kraft auf sich aufmerksam zu machen. In seiner Verzweiflung rollt er sich aus dem Bett. Der Aufprall seines Körpers alarmiert seine Retter. Marco L. hat Glück im Unglück: der Krankenwagen kommt innerhalb weniger Minuten. Der Notarzt weist ihn sofort mit Verdacht auf Schlaganfall in die Uniklinik ein. Dort wird nach der Ursache gesucht. Die Diagnose: „Schlaganfall“. Ein Gefäß in seinem Kopf ist durch ein Blutgerinnsel, ein sogenannter Thrombus, verstopft. Man gibt ihm eine Lyse, um den Thrombus aufzulösen. L. wird in der Neurologie der Uniklinik aufgenommen und weiter behandelt.
 

WAS PASSIERT IM GEHIRN NACH DEM SCHLAGANFALL?

Fälle wie die von Marco L. gehören zur täglichen Arbeit von Gereon Fink. Der Neurologe ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie. Exzellente Behandlung der Schlaganfall- Patienten ist sein Metier. Seit 2007 bietet die Klinik als erste und bisher einzige Universitätsklinik in NRW eine stationäre neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation an. Dort können schwerbetroffene Patienten an einem zwei- bis vierwöchigen, intensiven Rehabilitationsprogramm bereits unmittelbar im Anschluss an die Akutphase des Schlaganfalls teilnehmen. Patienten wie L. sind hier in guten Händen.

Die Klinik für Neurologie behandelt die meisten neurologisch- neurochirurgischen Frührehafälle, der sogenannten Phase B, in ganz NRW. Doch Gereon Fink möchte mehr als die bisher bekannten Methoden zu hundert Prozent umsetzen. Er ist nicht nur Arzt, sondern auch Wissenschaftler. Er forscht seit vielen Jahren daran, die Schäden im Gehirn besser zu verstehen, die ein Schlaganfall verursacht. „Wir versuchen herauszufinden, wie schlaganfallsbedingte Ausfallserscheinungen von unserem Gehirn kompensiert werden können. Oder wenn sie nicht kompensiert werden, was dieser Kompensation im Wege steht.“ Dafür muss der Neurologe die hochkomplexen Nervennetzwerke verstehen, die bei einem Schlaganfall beschädigt werden. Sie steuern beim Gesunden viele Körperfunktionen, beim Schlaganfallpatienten geraten sie außer Takt.
 

ZUSAMMENSPIEL IM GEHIRN

Das menschliche Gehirn ist ein Teamplayer. Seine einzelnen Bereiche werfen sich Signale zu, wie die Spieler einer Mannschaft sich Bälle zuwerfen. Dabei kommt es auf Aktion und Reaktion an. „Selbst eine simple Fingerbewegung wird nicht nur allein durch unsere motorische Hirnrinde gesteuert“, erklärt Gereon Fink. „Sie erfordert ein Zusammenspiel zwischen dem Zentrum, das für den Bewegungsplan zuständig ist, dem Zentrum, das für die Bewegungsinitiierung zuständig ist und den Zentren, die dafür zuständig sind, dass die Bewegung auch flüssig abläuft.“ Die beteiligten Hirnregionen sind oft zentimeterweit voneinander entfernt. Fällt einer der Spieler aus, kommen die anderen auch aus dem Takt. Nicht nur die Aufgaben des ausgefallenen Spielers, sondern auch die der Mitspieler werden beeinträchtigt.

Wenn ein Hirnareal durch einen Schlaganfall geschädigt ist, dann ist gleich die Funktion eines ganzen Netzwerkes betroffen. Mit Hilfe funktioneller Bildgebung, wie etwa der Kernspintomographie, können die Neurologen nicht nur sehen, welche Spieler im Gehirn mehr oder weniger aktiv sind, sondern sie können auch messen, wie diese verschiedenen Hirnregionen, die eine Aufgabe gemeinsam ausführen, miteinander in Verbindung stehen. „Wir sind in der Lage, mit modernen mathematischen Verfahren auch zu bestimmen, welche Hirnregion zuerst aktiv ist und welchen Effekt das darauf hat, dass eine andere Hirnregion auch aktiv wird. Oder ob sie vielleicht abgeschaltet wird und gar nicht aktiv wird“, so Fink. Bei ihren Forschungen kooperieren die Mediziner auch mit Wissenschaftlern der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, u.a. im Rahmen der Exzellenzinitiative in der Emerging Group „Connect“.
 

MIT MAGNETSTIMULATION GEGEN DEN SCHLAGANFALL

Marco L. sitzt auf der Bettkante in seinem Krankenzimmer und spricht mit uns. Seit vier Tagen ist er nun in der Kölner Klinik für Neurologie. Das Interview kommt ihm recht, denn das Reden tut ihm gut. Der sportliche Mann ist sichtbar vom Schock gezeichnet und ringt um Fassung: „Vor drei Wochen war ich noch auf Mallorca am Strand. Keine Anzeichen irgendeiner Krankheit. Jetzt liege ich hier.“ L. ist nicht der Typ fürs Nichtstun. Er denkt an seine Arbeit, wo er immer viel Action hat und die ihm sehr viel Spaß macht. Nun ist Geduld angesagt. „Ich muss da mitspielen. Ich muss drei Therapien am Tag machen: Physio- und Ergotherapie und Logopädie“. Noch hat er Schwindelanfälle und kann nicht ohne Hilfe laufen. Die Ungewissheit, was nun kommen wird, nagt an ihm. „Was ist danach? Kommt das wieder?“, fragt er sich.

Die Therapien, die bei L. angewendet werden, gehören zu den Verfahren, die es ermöglichen, die Nervennetzwerke zu reparieren. „Wenn ich eine Bewegung erlerne oder wieder erlerne, dann kommt es natürlich zu einer Veränderung von Nervenzellaktivität und damit zu einer Veränderung in Netzwerken“, so Gereon Fink. Die Therapie ist erfolgreich und bewährt. Doch für Patienten wie L. soll es in Zukunft noch zusätzliche Therapien geben. Die Forscher möchten ihre Erkenntnisse über die Nervennetzwerke in der sogenannten Transcraniellen Magnetstimulation einsetzen. Dabei wird von außen, ohne jeglichen operativen Eingriff, durch den Schädel ein Magnetfeld kurzzeitig sehr fokussiert aufgebaut.

„Mit diesem Magnetfeld kann man die Aktivität von Nervenzellen herunterfahren oder herauffahren“, erklärt Fink. Dadurch können Fehlsteuerungen in Netzwerken korrigiert werden. Überaktive Hirnregionen können gedämpft, unteraktive Hirnregionen angeregt werden. NUTZEN FUR PATIENTEN ERWIESEN Noch befinden sich diese Therapien im Versuchsstadium. Insgesamt scheint die Stimulation mit Magnetfeldern aber der richtige Weg zu sein, so Gereon Fink. Die Ergebnisse sind sehr ermutigend in diese Richtung weiterzuarbeiten.

„Bei einer ersten Gruppe von Patienten konnten wir zeigen, dass mit dem erheblichen Aufwand solch neuromodulativer Verfahren eine deutliche Verbesserung der motorischen Fähigkeiten nach drei Monaten im Vergleich zu einer Gruppe Patienten ohne Modulation zu erreichen war.“ Sein Resümee: „Wir können sagen, dass es für den Patienten einen Nutzen geben kann“, aber: „Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass es jetzt schon eine Routinebehandlung gibt.“ Seit mehreren Jahren laufen die Forschungen an den komplexen Hirnnetzwerken schon, sie werden noch Jahre andauern. „Da werden wir noch ein paar dicke Bretter bohren müssen“, so Gereon Fink. 
 

HOFFNUNG UND GEDULD

Marco L. liegt in seinem Zimmer und versucht, das Gefühlschaos in seinem Inneren zu ordnen. „Das ist so, als wenn Ihnen einer mit dem Hammer vor den Kopf haut“, sagt er. Auf der Station sind sie alle sehr freundlich, findet L. Inzwischen kann er schon wieder alleine aufstehen. Alleine laufen kann er noch nicht, die Beine knicken ihm weg. „Das Gehirn denkt sich, dass rechts links ist. Ich muss wieder trainieren zu laufen. Das ist natürlich ein harter Kampf“, erzählt er und sagt: „Die ersten zwei Tage ging gar nichts.“ Marco L. sitzt auf seinem Bett und wartet auf die nächste Behandlung. Dass eine Heilung länger dauern wird als sein aktives Temperament gerne hätte, weiß er inzwischen. „Man darf nicht mit Gewalt rangehen. Das geht nicht so von heut auf morgen“, sagt er. „Das mit dem Laufen, das möchte ich wieder schnell in den Griff kriegen.“