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Eine Welt ohne Stau ist möglich

Kölner Wirtschaftswissenschaftler haben eine Idee, wie man das Stauproblem lösen kann

Noch mehr Straßen, bessere Navis oder kostenloser öffentlicher Nahverkehr lösen das Problem der chronischen Verstopfung der Straßen meist nur kurzfristig. Neue Ansätze müssen her. Lesen Sie hier eine auf den ersten Blick irritierende Idee.

Vierzig Stunden stehen Autofahrer und -fahrerinnen in Köln pro Jahr durchschnittlich im Stau – im Prinzip also eine komplette Arbeitswoche. Eine verschenkte Woche, in der man, anstatt produktiv zu sein oder sich zu erholen, im  Schneckentempo über den Asphalt kriecht, sich über die verstopften Straßen, die mangelnde Infrastruktur und über die anderen Autofahrer ärgert. Das ist nicht nur für jeden Einzelnen frustrierend, sondern auch volkswirtschaftlich ein Desaster. Denn im Fall von Staus bedeutet Zeit tatsächlich Geld. Schätzungen zufolge entsteht in Deutschland durch verstopfte Straßen jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden von rund 80 Milliarden Euro. Dazu kommen erhebliche Umwelt- und Gesundheitsbeeinträchtigungen.In anderen Ländern fließt der Verkehr sogar noch zäher. Bewohner in Los Angeles verbringen im Jahr rund 100 Stunden im Stau, in New York ist man zur Rush Hour als Fußgänger mitunter genauso schnell unterwegs wie mit dem Auto.

Was hilft dagegen? Kostenloser öffentlicher Personennahverkehr, mehr Straßen oder bessere Navigationssysteme? Lösungsvorschläge für dieses Problem gibt es zwar, allerdings haben sich die meisten als nicht erfolgreich erwiesen. »Die Krux an der Sache ist, dass diese Ideen in der Regel zwar dazu führen können, dass die Straßen kurzfristig entlastet werden«, sagt Axel Ockenfels, Professor für Volkswirtschaft an der Universität zu Köln. »Dies macht aber das Autofahren wiederum attraktiver. Freie Straßen ziehen neuen Verkehr an, das Verkehrsaufkommen steigt schließlich auf das Ausgangsniveau an und der Effekt ist verpufft.« Am Ende bleibt so alles beim Alten. In der Wirtschaftswissenschaft ist dieses Phänomen auch als ›Fundamentales Gesetz der Straßenverstopfung‹ bekannt.

Die Kosten des Staus sichtbar machen

Nichts zu machen also? Ockenfels und sein Kölner Kollege Professor Dr. Peter Cramton sind da anderer Meinung. Beide sind weltweit führende Wirtschaftswissenschaftler, speziell auf dem Gebiet des Marktdesigns. Sie beraten große, globale Firmen ebenso wie Regierungen weltweit in Fragen der Steuerung und Ausgestaltung von Märkten in so unterschiedlichen Sektoren wie Energie, Internet, Telekommunikation und Finanzen – und im Verkehrssektor. »Wichtig ist, ein Instrument zu finden, das Autofahrern und -fahrerinnen die Kosten ihrer Entscheidung bewusst macht: Ich bin nicht nur der Leidtragende eines Staus, sondern ich trage auch selbst einen Teil dazu bei, dass es für die anderen nicht vorangeht", sagt Cramton. "Momentan allerdings hat der einzelne Autofahrer keinen Anreiz, diese von ihm verursachten Kosten zu berücksichtigen."

Dabei braucht es gar nicht viel, um einen Stau zu verhindern. "Schon eine vergleichsweise kleine Reduktion des Verkehrs kann einen großen Effekt haben. Reduziert man die Anzahl der Fahrzeuge chirurgisch präzise zur richtigen Zeit und am richtigen Ort, kann das dazu führen, dass erst gar kein großflächiger Stau entsteht. Paradoxerweise lässt sich der Verkehrsdurchfluss stattdessen drastisch vergrößern. Denn im Endeffekt können ohne Stau mehr Fahrzeuge die Straße nutzen", sagt Ockenfels. Nicht nur, dass sich Staus reduzieren lassen, Cramton und Ockenfels sind sogar überzeugt: Eine Welt ohne Stau ist möglich. Auch haben sie eine konkrete Vorstellung davon, wie man diese Vision des fließenden Verkehrs in die Tat umsetzt. Allerdings eine, mit der man auf den ersten Blick keine Beliebtheitspreise gewinnen kann.

Die beiden Ökonomen plädieren für eine Bepreisung der Straßennutzung, die jeweils die Kosten an jedem Ort zu jeder Zeit widerspiegelt. Dass Autofahrer dabei nicht unbedingt jubelnd im Kreis springen, ist ihnen bewusst. "Ein kostengerechter Preis ist allerdings fair und effektiv. Wenn man erst einmal die großen Vorteile sieht, steigt auch die Akzeptanz in der Bevölkerung", so Ockenfels. Ganz praktisch lässt sich dies in Schweden beobachten. Stockholm führte 2006 eine City-Maut ein, die vor der Einführung von 70 Prozent der Bürger und Bürgerinnen abgelehnt wurde. Nach einer Testphase von einem Jahr stimmte dann aber der Großteil der Stockholmer für den Erhalt. Heute hat sich das Ergebnis sogar umgekehrt und 70 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner sehen die Gebühr positiv. Grund ist, dass sie unmittelbar erleben konnten, wie die Staus abnahmen und der Verkehr besser floss.

Alle profitieren von einer fairen Bepreisung

"Wichtig ist natürlich, dass die Vorteile auch bei den Leuten ankommen. Denn das ist ja eines der häufigen und ernstzunehmenden Gegenargumente: Dass eine Gebühr ungerecht ist und sozial Schwache benachteiligt", sagt Cramton. Dabei wäre das Gegenteil der Fall. Derzeit bezahlen die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, die Staus verursachen, der Umwelt schaden und dadurch Kosten verursachen, genau so viel wie diejenigen, die daran nicht beteiligt sind. "Im Endeffekt bedeutet das, dass wir die Verursacher subventionieren. Das ist unfair", so Cramton. Dazu komme, dass alle Verkehrsteilnehmer davon profitieren, dass Staus verhindert werden und der Durchfluss zu Spitzenzeiten erhöht würde. Außerdem könnten die Einnahmen aus der Bepreisung dazu genutzt werden, Autofahrer und -fahrerinnen an anderer Stelle zu entlasten. So könnten alle profitieren.

Ihre Idee diskutieren die beiden Wissenschaftler mittlerweile mit von Dauerstaus geplagten Millionenstädten wie Melbourne und Sydney in Australien oder dem südostasiatischen Stadtstaat Singapur. Auch Unternehmen wie Uber und Google zeigen Interesse. Die technische Umsetzung einer dynamischen Bepreisung ist heutzutage kein Problem mehr. Es ist zu geringen Kosten möglich, präzise den Standort eines Fahrzeugs zu ermitteln und so die genaue strecken- und zeitabhängige Straßennutzung zu ermitteln. "Wichtig ist für die Akzeptanz zudem, dass der Aufwand für den Einzelnen möglichst gering ausfällt", erläutert Ockenfels. "Bedienungshilfen wie Navi oder Handy können auf das aktuelle Verkehrsaufkommen und die entsprechenden Preise reagieren und die individuell passende Route ermitteln", sagt Cramton.

Auch sei es denkbar, dass man bereits frühzeitig die Straßennutzung zu bestimmten Zeiten einkaufen kann, um Preisrisiken zu vermeiden. Die Einnahmen der Bepreisung können dann wieder der Allgemeinheit zu Gute kommen, in Straßen, Radwege oder den öffentlichen Personennahverkehr investiert werden. "Wenn die Leute in der Praxis sehen, wie eine dynamische Bepreisung funktioniert und welchen Vorteil sie bringt, wird man sie sicher nicht mehr abschaffen wollen", ist sich Ockenfels sicher. "Wer wollte wohl die Verkehrs-, Umwelt und Gesundheitsbelastungen verantworten, die aus einem ineffizienten Verkehrsmanagement resultieren, wenn eine moderne und effektive Marktsteuerung erreichbar ist?" Wenn die Kölner und Kölnerinnen dann in Zukunft vielleicht nicht mehr eine Woche jährlich im Stau verbringen, ist es ihnen auch ein paar Euro wert.