zum Inhalt springen

Eine virtuelle Zeitreise

Studentische Gründer der Universität zu Köln im Porträt

Haben für ihre Idee ein Gründerstipendium bekommen: Marius Mülder, Andreas Zerbes und Fabian Rühle (v.l.n.r.)

Vier Absolventen der Wirtschaftsinformatik wollen die Art und Weise verändern, wie wir unsere Umgebung erkunden. Dazu haben sie eine App für Smartphones entwickelt, die erlebte Momente für die Ewigkeit mit einem Ort verbindet. Die Idee erarbeiteten sie während eines Seminars an der WiSo-Fakultät. 

Facebook bildet das Leben seiner Nutzer eindimensional ab. Wer das Portal betritt, findet sich in einem virtuellen Zeitfluss wieder. In der sogenannten Timeline scrollt man sich hoch und runter durch die Beiträge der Anderen. Nach rechts und links geht es nicht. Auch nicht nach vorne und hinten. Doch wie wäre es, die Ereignisse aus ihrer Chronologie zu befreien und sie stattdessen mit den Orten zu verbinden, an denen sie stattgefunden haben? Diese Frage brachte vier Kölner Absolventen der Wirtschaftsinformatik zur entscheidenden Idee für einen neuen Internetdienst. Norman Christ, Marius Mülder, Fabian Rühle und Andreas Zerbes sind die Entwickler von Tagxter – einer App, die es Nutzern ermöglicht, mit dem Smartphone die Geschichte eines Ortes zu erkunden und selbst zu schreiben. Anfang 2016 wollen die jungen Gründer die App live schalten.

ES LIEGT IN DER HAND DER NUTZER, WOHIN DIE REISE GEHT 

Das Grundprinzip der App erinnert an die Routine sozialer Netzwerke: Man erlebt etwas, macht Fotos, Videos oder Tonaufnahmen davon und schreibt ein paar Worte dazu. Tagxter verknüpft das Ereignis nun anhand der Geodaten mit dem Ort, an dem es erstellt wurde. Jeder hochgeladene Beitrag wird damit ein Puzzlestück in der Geschichte dieses Ortes. Wenn die vier Programmierer ihr Projekt vorstellen, sprechen sie von user generated content und location based services. Mit ihrer Idee verbinden sie also standortbezogene Daten und Medien, die die Nutzer selbst erstellen. Je mehr Menschen Inhalte beisteuern, desto umfangreicher wird die virtuelle Zeitreise. Doch wohin die Reise letztlich geht, überlassen die Entwickler ganz den Nutzern: „Wir wollen das echte Leben abbilden und machen deshalb bewusst keine Vorgaben“, sagt Zerbes. „Das kann ein Bild vom letzten Karneval, ein Autounfall oder etwas ganz Banales wie eine umgefallene Mülltonne sein.“ Trotzdem wollen Zerbes und seine Kollegen die Nutzer dazu bringen, möglichst interessante Inhalte zu veröffentlichen. „Es bringt natürlich nichts, wenn jemand hundertmal die gleiche Mauer fotografiert und hochlädt.“ 

DIE REALITÄT VERMISCHT SICH MIT DEN INHALTEN DER APP 

Für den Erfolg ihrer App setzen die Entwickler noch auf einen weiteren Trend. Der besondere Clou von Tagxter soll eine Live-Ansicht werden. Schaut man auf das Display des Smartphones, werden die Einträge anderer Nutzer im Kamera-Modus dargestellt. Je nachdem in welche Richtung man das Gerät hält, sieht man zwischen Straßenzügen und Häuserfassaden genau die Informationen, die mit dem Blickfeld des Nutzers übereinstimmen. Der Vorteil: Wenn nun etwa das beliebteste Café der Stadt durch ein anderes Gebäude verdeckt ist, wird es in auf Display trotzdem angezeigt. Neben der Richtung zeigt die eingeblendete Information auch die Entfernung zu dem gesuchten Ort. So vermischt sich schließlich die Realität mit den digitalen Inhalten der App. Die Technologie dahinter nennt sich entsprechend Augmented Reality oder erweiterte Realität und wird in der digitalen Welt derzeit als Innovation mit großem Potenzial gehandelt.

 „BEI UNS VERSTEHT JEDER, WAS DER ANDERE MACHT“ 

 Die Grundidee zu Tagxter hatte Andreas Zerbes schon vor vielen Jahren. Damals fehlte ihm aber noch das benötigte Know-how und somit verschwand die Skizze fürs Erste in der Schublade. „Die beste Idee ist wertlos ohne eine Umsetzung“, sagt Zerbes. „Manchmal muss man eben warten, bis man die richtigen Leute zur richtigen Zeit findet.“ Als er während des Masterstudiums in einem Kurs von Professor Detlef Schoder vom Seminar für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement auf seine drei Mitstreiter traf, war der richtige Zeitpunkt gekommen. Die Studenten sollten damals eine Idee im Bereich des Electronic Business entwickeln – es war die Geburtsstunde von Tagxter. Das Projekt faszinierte die Entwickler so sehr, dass sie auch nach dem Seminar weiter daran arbeiteten. Schnell wurde ihnen jedoch klar, dass die Arbeit allein mit Programmierkenntnissen nicht getan ist. So eigneten sie sich noch während des Studiums ein umfangreiches Wissen in Entrepreneurship, Medien- und Technologiemanagement, Corporate Development und Marketing an. Heute bringt sich jeder mit seinen Fähigkeiten ein. „Bei uns versteht aber auch jeder, was der andere macht – zumindest an der Oberfläche“, betont Zerbes. „Das halten wir sehr wichtig für den Erfolg eines Start-ups.“ 

EIN JAHR ZEIT ZUM EXPERIMENTIEREN

Die Arbeit an der App zahlt sich für die Entwickler mittlerweile aus. Seit Juli erhalten Christ, Mülder, Rühle und Zerbes ein EXISTGründerstipendium. Die Förderung hilft ihnen ein Jahr lang, ihre Gründungsidee zu realisieren und in einen Businessplan umzusetzen. „Es war ein sehr gutes Gefühl, als wir das Stipendium erhalten haben“, freut sich Zerbes. „Man kann schließlich nicht einfach so auf ein Einkommen verzichten.“ Der Gateway Gründungsservice an der Universität zu Köln hat den Absolventen bei der Antragsstellung geholfen. Außerdem beziehen sie dort für die Zeit des Stipendiums ein Büro. Dank dieser Unterstützung können sie in der Startphase noch frei experimentieren und auf die Wünsche der Nutzer reagieren. Denn anders als bei einer Finanzierung durch Investoren sitzt ihnen so niemand im Genick, der schon im ersten Jahr Umsatz sehen will. Finanzieren soll sich der Dienst anschließend durch lokale Werbung. Für wieviel Geld die Entwickler ihre Idee verkaufen würden, verraten sie übrigens nicht. Zerbes: „Wenn Google uns irgendwann mal aufkaufen will, fühlen wir uns natürlich erstmal bestätigt. Über den Preis müsste man dann reden, wenn es soweit ist.“