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Ein Garten Eden inmitten der Sahara

Das Ennedi-Massiv in der Sahara ist fast so groß wie die Schweiz und trotzdem einer der unbekanntesten Orte der Welt. Die UNESCO hat das Gebirge im Tschad nun zum Welterbe ernannt. Für den Kölner Wüstenforscher Stefan Kröpelin wird damit ein Traum wahr. Über 18 Jahre hat er sich dafür eingesetzt, dass diese einzigartige Region in der Sahara geschützt wird. 

Als am Abend des 15. Juli Teile des türkischen Militärs die Macht im Land übernehmen wollen, hält sich Stefan Kröpelin in einem Hotel direkt am Istanbuler Taksim- Platz auf. Er hört Schüsse, Explosionen und Krankenwagen. Am Himmel tief fliegende Kampfjets und Hubschrauber. Erst am frühen Morgen darauf legt sich eine gespenstische Stille über die Straßen. Niemand weiß, was der neue Tag bringen wird. Die ganze Stadt hat eine schlaflose Nacht hinter sich. Doch Kröpelin ging dabei nicht die Frage durch den Kopf, wie er möglichst schnell das Land verlassen kann. Der Kölner Wüstenforscher sorgte sich darum, ob eine Konferenz der UNESCO fortgesetzt wird, für die er in die Türkei gereist war. Hier stand noch eine Entscheidung aus, auf die er mit seinem tschadischen Kollegen Baba Mallaye viele Jahre lang hingearbeitet hat: Bekommt der Tschad nach den Wüstenseen von Ounianga seine zweite Welterbestätte? 

Als einziges afrikanisches Land brachte der Tschad mit dem Ennedi-Massiv in der Sahara eine schützenswerte Region zur diesjährigen Abstimmung des Welterbekomitees der UNESCO. Ohne die Grundlagenforschung im Rahmen der Kölner Sonderforschungsbereiche 389 „ACACIA“ und 806 „Unser Weg nach Europa“ wäre es dazu nicht gekommen. Nun drohte die Sitzung wegen der unübersichtlichen Lage in Istanbul vorzeitig abgebrochen zu werden. Nach dem gescheiterten Putschversuch wollten die Teilnehmer noch an einem Tag so viele Anträge wie möglich behandeln. Doch der Tschad war ein Wackelkandidat und rutschte deshalb ans Ende der Tagesordnung. Fast in letzter Minute wurde der Antrag des zentralafrikanischen Landes – zur großen Überraschung aller – mit einstimmigem Beschluss angenommen. Kröpelin ist erleichtert: „Wenn es in der Sahara einen Ort gibt, der geschützt werden muss, dann ist es dieser.“ Seit seiner Initiative vor 18 Jahren hat er sich ehrenamtlich dafür eingesetzt. 

Reise in die Zeit der grünen Sahara

Kröpelin hat sich sein ganzes Forscherleben mit Wüsten beschäftigt. Schon als Kind faszinierten ihn die endlos weiten Meere aus Sand. Was genau die Begeisterung ausgelöst hat, weiß er nicht mehr. „Vielleicht waren es Geschichten von Heinrich Barth oder aus Tausendundeine Nacht.“ In über sechzig Expeditionen hat der Geologe und Klimaforscher die östliche Sahara erkundet. Dabei zieht es ihn vor allem in die extremen Regionen, die völlig leblos sind. „Mich interessieren am meisten die Gebiete, in denen keine Pflanze, kein Tier, kein Mensch existieren kann“, sagt Kröpelin. Dahinter stecken universelle Neugier und das Wissen, immer etwas Neues zu finden. „Sehr oft entdecken wir in der Wüste etwas, nach dem wir gar nicht gesucht haben: Dinosaurierknochen, Meteoriteneinschläge, Felsbilder, uralte Wege. An vielen Orten war seit Jahrtausenden kein Mensch mehr.“ 

Das Ennedi-Massiv im Nordosten des Tschad ist noch in weiten Teilen unerforscht. Das Gebirgsplateau von der Größe der Schweiz bildet einen starken Kontrast zu der lebensfeindlichen Welt, die es umgibt. Es ist schon faszinierend, wenn man die seltene Gelegenheit hat, mit dem Flugzeug anzureisen. Richtig wertschätzen kann es laut Kröpelin aber nur, wer zuvor mit dem Geländewagen hunderte Kilometer durch die Sahara gefahren ist. Nur dann erlebe man das einzigartige Gefühl, eine Insel inmitten der Wüste erreicht zu haben: „Auf einmal sieht man wieder Menschen und eine üppige Vegetation. Und Gazellen, Krokodile, Paviane oder Mähnenschafe. Vor nicht allzu langer Zeit lebten hier auch noch Strauße, Giraffen und Löwen.“ Erhöhte Niederschläge und große Grundwasservorräte machen das Leben in dieser ökologischen Nische möglich. Wer sie betritt, reist zugleich durch die Zeit. Die Sahara gehörte nämlich nicht immer zu den trockensten Regionen der Erde. „Wenn man das Ennedi sieht, kann man sich vorstellen, wie es in Nordafrika während der Grünen Sahara-Zeit ausgesehen hat“, sagt Kröpelin. 

Felsbilder, die Kämpfer auf Pickups zeigen

Als Kröpelin und sein Team letztes Jahr die UNESCO-Gutachter durch das Ennedi führten, fuhren sie durch fast zweihundert Meter tiefe Canyons. Sie quetschten sich durch schmale Gänge, die sie nur seitlich passieren konnten, bis sich plötzlich ein riesiger Hohlraum eröffnete – so groß wie eine Kathedrale. „Dort gibt es kleine Wasserstellen und Bäume, man hört Vögel zwitschern. Es ist der Garten Eden der Sahara“, erzählt Kröpelin. „Bei der Geräuschkulisse in der Schlucht von Archeï glaubt man Dinosaurier zu hören, wenn unten hunderte Kamele brüllen und ihr Echo durch den Canyon hallt.“ Dann sind da noch die Felslabyrinthe, in denen man sich durchaus verlaufen kann. An ihren Eingängen haben Millionen von Sandstürmen merkwürdige geologische Formationen ins Gestein geschnitten, die wie Schlangen oder Monster aussehen. Kröpelin ist sich sicher, dass diese märchenhafte Landschaft den Menschen seit jeher reichlich Stoff für Erzählungen geliefert hat. Andere Zeugnisse der Vergangenheit liefern tausende Felsbilder. Immer wieder übermalt, dokumentieren sie Schicht für Schicht die Umwelt- und Kulturgeschichte der Region. Die ältesten Darstellungen sind zehntausend Jahre alt, die jüngsten illustrieren dagegen gerade einmal Beobachtungen aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Über Nashörner, Elefanten und Giraffen sind Nutztiere wie Rinder, Pferde und Dromedare gemalt. Die jüngsten Gravierungen zeigen Pickups mit Kämpfern und Maschinengewehren auf den Ladeflächen. 

Eine Welt ohne Autoritäten

Kaum ein Wissenschaftler hat so viel Zeit in der Sahara verbracht wie Kröpelin. Das liegt auch daran, dass nicht jeder von seiner Hochschule oder Regierung eine Genehmigung für solche Expeditionen bekommt. Die Sahara gilt schließlich nicht gerade als sicherster Ort für geowissenschaftliche und archäologische Geländeforschung. Für Kröpelin spiegeln solche Ängste jedoch nicht die Realität wider: „Mit der Erfahrung eignet man sich ein gewisses Grundvertrauen an. Wenn ich meinen Schlafsack in der Wüste ausbreite, fühle ich mich sicherer als in jedem Hotel.“ Er hat auch brenzlige Situationen erlebt, ist jedoch immer wieder heil davongekommen, denn „zwischen den Menschen in der Sahara gibt es ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Selbst wenn man ausgeraubt werden sollte, würde vermutlich niemand einem das letzte Wasser und das Fahrzeug wegnehmen.“ Die andere Seite der Medaille ist eine Freiheit, wie es sie nur weit draußen in den entlegensten Wüsten gibt. „Es ist eine Welt ohne Autoritäten, ohne Zollbeamte, ohne Militär – niemand hält einen von der Forschung ab.“ Und wenn Kröpelin nachts sein Lager auf einer Düne oder einem Felsplateau anlegt, genießt er die Stille, den 360-Grad-Horizont und den Blick in den glasklaren Sternenhimmel. Auch nachdem der Wüstenforscher mit der Ernennung des Ennedi zum Natur- und Kulturwelterbe eine wichtige Lebensaufgabe erfüllt hat, gehen seine Expeditionen weiter: „Solange ich laufen kann, werde ich in die Sahara fahren.“