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Das Wunderwerk Niere

Die Niere ist von großer Bedeutung für den Körper - und für die Alternsforschung. Eine neue Klinische Forschergruppe will für Patientinnen und Patienten mit Nierenversagen maßgeschneiderte Therapien weiterentwickeln.

Nierenzellen

Die Nieren sind wichtige Organe, ohne die die Menschen nicht leben können – und sie leisten jeden Tag Großartiges. Etwa 300 Mal am Tag filtern sie das gesamte Blut des Menschen und bilden aus diesen 1.500 Litern Flüssigkeit rund 180 Liter Primärharn, also noch unkonzentrierten Harn. Der größte Anteil davon wird wieder gefiltert und zurückgehalten – bis auf die 1,5 Liter Urin, die wir täglich ausscheiden. Aber die Nieren sind weit mehr als nur Filter. Sie regulieren unter anderem den Blutdruck, den Salzhaushalt, die Bildung von Blut und den Knochenstoffwechsel. Dabei sind die Nieren durch viele Funktionen mit anderen Organen verbunden.

Zehn Prozent der Bevölkerung leiden an Niereninsuffizienz

Gerade mit steigendem Lebensalter lässt die Funktion der Nieren jedoch nach – die sogenannte Niereninsuffizienz ist die Folge. »Etwa zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden an chronischen Nierenerkrankungen – oft ohne davon zu wissen«, sagt Professor Thomas Benzing vom Universitätsklinikum Köln. Ein Teil der Nierenfunktionen kann technisch ersetzt werden, zum Beispiel die Entgiftung oder Volumenregulation. Dieses »Dialyse« genannte Verfahren, bei dem das Blut maschinell gewaschen wird, ist aber für die Patienten physisch wie psychisch anstrengend. Nur eine Nierentransplantation sichert dann die volle Leistungsfähigkeit und das Überleben. Ziel der Forschung ist es daher, eine Niereninsuffizienz frühestmöglich zu verhindern – denn mit der gestörten Funktion der Niere steigt das Risiko für Erkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle deutlich an. »Wenn Sie zwei 75-Jährige untersuchen, einer mit und einer ohne Störung der Nierenfunktion, können zwar beide ohne Dialyse leben. Dennoch hat der mit eingeschränkter Funktion ein deutlich höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen «, sagt der Nierenforscher. Der genaue Grund ist unbekannt; vermutet wird ein Zusammenhang mit dem Kalzium-Phosphatstoffwechsel. »Das ist eine der vielen Stoffwechselfragen, die wir noch nicht richtig verstehen «, sagt Benzing.

Millionenförderung für Nierenforschung

Um solche und andere Fragen zu klären, fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Uniklinik Köln eine neue Klinische Forschergruppe (KFO 329: »Molekulare Mechanismen von Podozyten- Erkrankungen – die Nephrologie auf dem Weg zur Präzisionsmedizin «). Knapp fünf Millionen Euro fließen bis 2020 von der DFG an die KFO. Das Team, bestehend aus Biologen und Biologinnen sowie klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten, versucht die Lücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung zu schließen. Dazu wollen die Forscher Erkenntnisse über Signalwege sowie Genmutationen, die an der Entwicklung von Nierenerkrankungen beteiligt sind, nutzen, um neue diagnostische und therapeutische Ansätze zu etablieren. Benzing, Sprecher der neuen KFO 329, erklärt: »Wir werden Kräfte bündeln, um Prinzipien, die an Modellorganismen untersucht wurden, und neu identifizierte genomische Veränderungen bei Menschen in die Krankenversorgung zu übertragen.  Es gehe darum, neue diagnostische und therapeutische Verfahren für Patienten zu entwickeln. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der individuellen Krankheitsmechanismen bei Podozyten-Erkrankungen und die Identifizierung von Markern dieser Veränderungen für unsere Diagnostik.  Basierend auf dem besseren Verständnis dieser Störungen bei einzelnen Patienten, hoffen wir schnellere maßgeschneiderte therapeutische Maßnahmen entwickeln zu können,« sagt Benzing. Podozyten sind ein spezieller Typ von Zellen, die im Nierenfilter vorkommen. Ihre Besonderheit: Sie können sich nicht selbst regenerieren. »Wir sind geboren mit einer limitierten Zahl von Podozyten. Weil sie für die Filterfunktion so wichtig sind, stehen sie im Zentrum unserer Forschung «, so Benzing weiter.

Sein Kollege Professor Dr. Paul Brinkkötter, Forschungskoordinator der KFO 329, sagt: »Das Ziel ist es bei erwachsenen Patienten mithilfe von genetischen Untersuchungen Mutationen zu entdecken, die für die Nierenstörungen verantwortlich sind.« Unterschiedliche Mutationen würden unterschiedliche Behandlungen erfordern. »Die oft übliche Chemotherapie mit Kortisonbehandlung ist nicht immer Mittel der Wahl.«

Nierenforschung als Teil des Exzellenzclusters

Eingebettet ist die Nierenforschung nicht nur in die Uniklinik Köln, sondern auch in das Exzellenzcluster CECAD für Alternsforschung. Eine Vielzahl von Alternserkrankungen steht mit einer nachlassenden Funktion der Nieren in Zusammenhang, unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Eines der Teilprojekte der KFO wird sich ausschließlich mit der Rolle der Energieproduzenten der Zelle, den Mitochondrien, beschäftigen. Die enge Verknüpfung von biologischer Grundlagenforschung und klinischer Anwendung soll möglichst patientennah sein. Zwar dauert die Entwicklung eines neuen Medikaments oft mehr als ein Jahrzehnt – Benzing macht sich und seinen Patienten aber Hoffnung: »Viele Signalwege, an denen wir interessiert sind, kennen wir zum Beispiel schon aus der Onkologie und Therapien sind bekannt. Von daher glaube ich, dass wir nicht komplett neue Medikamente entwickeln müssen, sondern auf vorhandene Therapien für andere Erkrankungen zurückgreifen können.« Wichtig sei dabei die genaue Charakterisierung der Erkrankung. Viele im Ergebnis ähnlich aussehende Krankheiten haben völlig unterschiedliche molekulare Grundlagen. »Daher brauchen wir angepasste Präzisionsmedizin in der Nephrologie, damit die Therapie anschlägt«, so Benzing. Seine Erfahrung aus über 20 Jahren Nierenforschung stimmt ihn aber positiv: »Wir haben mit internationalen Kollegen schon Wesentliches erreicht – in den nächsten vier Jahren stehen wir vor dem Durchbruch.«