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CRISPR krempelt die Wissenschaft um

Für die Exzellenzcluster CECAD und CEPLAS ist die »Genschere« bereits Alltag

Bei den Kölner Exzellenzclustern CECAD (Alternsforschung) und CEPLAS (Pflanzenforschung) ist die Technik CRISPR/CAS9 bereits Alltag. Sie nährt die Hoffnung auf Heilung genetischer Erkrankungen und verspricht schnellere Erfolge für neue Kulturpflanzen, die dem Klimawandel trotzen.

Als vor Milliarden Jahren Bakterien und Einzeller den Planeten bevölkerten, dachte wohl noch niemand an Gentechnik – denn höheres Leben gab es noch nicht. Auch für Bakterien ging es aber schon um Leben und Tod. Eine große Gefahr für sie waren schon damals Viren, die Bakterien befielen und zur eigenen Vermehrung und Verbreitung nutzten. Ein fortwährender Kampf begann, und die Bakterien entwickelten einen Schutzmechanismus: CRISPR/Cas.

Dieses »Immunsystem« hilft den Bakterien DNAFragmente von Viren zu zerlegen und im eigenen Genom zu speichern. Bei einem erneuten Befall des gleichen Feindes können sie ihn erfolgreich bekämpfen. Vor wenigen Jahren kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Idee den neu verstandenen Mechanismus als molekularbiologisches Werkzeug einzusetzen. CRISPR/CAS9 wurde als »Genschere« bekannt und das Zeitalter des »Genome Editing«, der Genom-Chirurgie, begann. Erstmals war es möglich das Erbgut schnell und mit nie da gewesener Präzision zu ändern. Und das nicht nur bei Bakterien, sondern bei allen lebenden Zellen – egal ob menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Ursprungs.

In drei Schritten zum Genome Editing

Im Prinzip läuft das Verfahren in drei Stufen ab. Die Zielsequenz, das Gen, das verändert werden soll, muss in den Millionen oder Milliarden Basenpaaren gefunden werden. Dazu wird eine Sonde konstruiert: die Guide-RNA. Findet diese Sonde ihr Ziel, dockt sie am DNA-Strang an und nutzt im nächsten Schritt ihre Schere – das Protein CAS9 – um den Strang zu durchtrennen. Die zelleigenen Reparatursysteme versuchen im Anschluss den Doppelstrangbruch wieder zu beheben, wobei aber teilweise Fehler unterlaufen. Diese sorgen dann für die Inaktivierung des Ziel- Gens. In diesem dritten Schritt ist neben der Reparatur auch der Einbau anderer DNA-Sequenzen oder einzelner Basenpaare möglich.

Im Alltag der Forscher und Forscherinnen am Exzellenzcluster CECAD für Alternsforschung spielt CRISPR eine wichtige Rolle. Sie untersuchen hier die molekularen Grundlagen von Krankheiten, die vor allem im Alter auftreten: Neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, Diabetes oder Niereninsuffizienz. Der Nierenforscher Professor Dr. Bernhard Schermer forscht auf letzterem Gebiet. Für ihn ist mit CRISPR ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen: »Von der Möglichkeit präzise, schnell und kostengünstig in den genetischen Bauplan eingreifen zu können, habe ich schon seit zwanzig Jahren geträumt.« Die Methode eröffnet viele neue Möglichkeiten in der Grundlagenforschung wie in der angewandten Medizin. Um die Funktion eines Gens zu verstehen, wird es klassischerweise in Zellen oder Modellorganismen »ausgeschaltet«. Alternative werden Mutationen eingefügt, die mit Krankheiten assoziiert sind oder molekulare Funktionen modulieren. Danach können die Wissenschaftler die Folgen untersuchen. Eine Maus-Linie mit ausgeschaltetem Gen für die Forschung zu züchten, dauerte früher bis zu zwei Jahre und kostete mehrere Zehntausend Euro. CRISPR verkürzt den Prozess auf wenige Wochen.

Darf die Genschere am Menschen eingesetzt werden?

Der Fortschritt der Methode ist atemberaubend. Allerdings ist das Tempo der Wissenschaft so schnell, dass Gesellschaft, Politik und Gesetzgebung kaum hinterherkommen. Ende November 2018 sorgte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui mit der Meldung für Aufsehen – und Entsetzen –, er habe zum ersten Mal mithilfe von CRISPR das Erbgut zweier Babys, die in China zur Welt kamen, manipuliert. Er habe sie damit gegen HIV, das Virus, das AIDS verursacht, immun gemacht. Das solle in Zukunft infizierten Eltern ermöglichen gesunde Kinder zu bekommen. Noch fehlt der unabhängige Nachweis, dass tatsächlich Genome Editing in den Zwillingen durchgeführt wurde. Die Einwände waren jedoch vielfältig: Unter anderem sei dies unnötig, da die Übertragung von HIV medikamentös bereits verhindert werden kann. Es besteht also gar keine absolute Notwendigkeit, die den Einsatz einer risikobehafteten Technologie rechtfertigen würde. Den Daten zufolge, die von He Jiankui Ende November in Hongkong präsentiert wurden, war zudem nur einer der beiden Zwillinge erfolgreich editiert. Auch Bernhard Schermer war von dem Vorstoß des chinesischen Forschers schockiert: »Wir brauchen weltweit Regeln, die den Einsatz von CRISPR beim Menschen regeln und wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion. Das sind keine Fragen, die sich national klären lassen.« Dabei verweist er auch auf eine kürzliche Empfehlung des Deutschen Ethikrates.

Dennoch ist es nicht einfach, eine eindeutige Stellung zu CRISPR zu beziehen. Das medizinische Potential ist gewaltig – auch ohne Eingriff in die Keimbahn des Menschen. Genome Editing erlaubt auch zielgerichtete genetische Korrekturen an somatischen Zellen unseres Körpers. Die Keimzellen bleiben davon unberührt. Hier ist aber das größte Problem, die Zutaten für Genome Editing zielgerecht in das jeweilige Organ oder Gewebe zu übertragen. Dies ist mit Sicherheit eine der größten Herausforderungen für die Zukunft. Einen Vorteil hat man da bei hämatologischen, also das Blut betreffenden Erkrankungen, bei denen man Stammzellen aus dem Knochenmark entnehmen kann. Diese werden dann im Labor, editiert und anschließend dem Patienten zurückgegeben. Im Fall der sogenannten beta-Thalassämie und der Sichelzellanämie, die beide durch Mutationen im Gen für den roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) ausgelöst werden, laufen hier bereits erste klinische Studien.

CRISPR im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels

Neben CECAD setzt ein weiteres Kölner Exzellenzcluster im Alltag CRISPR ein: CEPLAS, das Exzellenzcluster für Pflanzenforschung. Hier wird unter anderem untersucht, wie Kulturpflanzen an die sich ändernden Bedingungen des Klimawandels angepasst werden können. Eine der Wissenschaftlerinnen ist Professorin Dr. Ute Hoecker: »Wir stehen vor der großen Herausforderung eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren – sind aber schon bei der maximal bewirtschafteten Fläche angelangt.« Die Konsequenz: Die Erträge der Pflanzen müssen gesteigert werden. »Angesichts des Klimawandels und der Dürre, wie wir sie zum Beispiel im Sommer 2018 in Deutschland erlebt haben, kämpfen wir eher mit sinkenden Erträgen. In zehn Jahren werden nicht mehr die gleichen Sorten angebaut werden können wie jetzt.«

Der Ausweg aus dem Dilemma? CRISPR! »Mit der Geneditierungsmethode können wir schnell und präzise ins Erbgut eingreifen – auf eine Art, wie es natürlicherweise ständig ähnlich passiert, zum Beispiel durch UVLicht. Wir wissen aber genau, was wir wo ändern und es passiert nicht zufällig«, so die Wissenschaftlerin weiter. Mittlerweile ist die Funktion abertausender Gene bekannt. Durch gezielte und präzise Eingriffe in das Erbgut der Pflanzen ist es denkbar, Sorten zu züchten, die weniger Wasser und Dünger verbrauchen, die resistent gegen Schädlinge sind oder auf andere Weise besser mit extremen Ereignissen zurechtkommen.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – für viele Wissenschaftler nicht nachvollziehbar

Die Möglichkeiten sind immens, viele ethische Fragen aber noch ungeklärt. Im Juli 2018 beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage, ob Eingriffe mit CRISPR nach dem Gentechnikgesetz behandelt werden und entsprechend gekennzeichnet werden müssen – und das Gericht fällte ein folgenschweres Urteil.

»Wir waren schockiert, als wir vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs gehört haben, denn es basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen«, so Ute Hoecker. »Da sie auch auf natürliche Weise geschehen können, sind Veränderungen mit CRISPR nicht von anderen Züchtungen unterscheidbar und hinterlassen keine nachweisbaren Spuren. Auf welcher Basis soll dann eine Kennzeichnungspflicht erfolgen?«

Als das Gentechnikgesetz in den 1990er Jahren entwickelt wurde, konnte kein Mensch ahnen, dass es einmal etwas wie CRISPR geben würde. Entsprechend schlecht lässt es sich auf die heutigen Bedingungen anwenden. »Was wir jetzt brauchen, ist ein neues europäisches Gentechnikgesetz, in dem nur das Produkt entscheidend ist, nicht die Herstellungsweise. Die Politik muss aktiv werden – sonst ist die Pflanzenzüchtung in Europa extrem benachteiligt«, sagt Hoecker. Schon jetzt sei spürbar, dass Start-ups den europäischen Markt verlassen und in die USA übersiedeln, wo erste Produkte mit CRISPR bereits in den Regalen liegen, so die Forscherin.

Die Einfachheit der Geneditierungsmethode erlaubt es auch kleinen Unternehmen mit großen Ideen Pflanzen zu verändern. Es braucht vor allem einen guten Einfall und etwas technisches Wissen. Durch die EuGh- Entscheidung müssen die veränderten Pflanzen in Europa jedoch aufwendig nach dem Gentechnikgesetz zugelassen werden. Ein Standortnachteil – das befürchtet sowohl die Wissenschaft als auch die Wirtschaft. »Den Prozess der Zulassung kann sich ein Start-up kaum leisten – Bayer und Monsanto hingegen schon«, meint Hoecker. Anstatt den Markt diverser zu gestalten, werden laut der Agrarwissenschaftlerin die großen Firmen profitieren. Für kleine Unternehmen ist die Unsicherheit zu groß. Nur eines ist klar: CRISPR wird uns alle noch weiter beschäftigen – so oder so.