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Aus Gas und Staub geformt

Kölner Forschende blicken mithilfe neuer Technologien tiefer in die stellaren Kinderstuben

Wie genau im Weltall Sterne, Planeten und ganze Galaxien entstehen, ist noch ein Rätsel für die Astrophysik. Doch Kölner Forschende blicken heute mithilfe neuer Technologien tiefer in die stellaren Kinderstuben als je zuvor. Auch eigens entwickelte Modellierungen helfen, die komplexen physikalischen Prozesse zu verstehen.

Von Martina Windrath

Ein neuer Stern braucht circa eine Million Jahre, um zu entstehen. Dabei müssen die exakt richtigen Bedingungen vorherrschen, damit sich aus einer Wolke aus Staub und Gas nach und nach ein fertiger Stern bildet. So lange kann Stefanie Walch-Gassner nicht warten. Um das Rätsel um die Entstehung der Himmelskörper zu entschlüsseln, nutzt sie Beobachtungen mit Spitzenteleskopen und Computermodellierungen, in denen die Prozesse im Zeitraffer ablaufen.

Eine sternbildende Molekülwolke aus einer Simulation. Die Farbe reflektiert die Dichte des Gases, wobei rot höhere Dichte und blau eher niedrige Dichte repräsentiert. Der junge, massereiche Stern in der Mitte ist so klein, dass man ihn nicht sehen kann.

Der Blick in den nächtlichen Sternenhimmel mit seinen Milliarden von Galaxien weckte schon früh eine große Entdeckerinnenlust bei der Professorin für Theoretische Astrophysik. »Ich wollte immer schon herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie die Sterne entstehen«, sagt die Forscherin und weist in ihrem Büro auf Fotos von der Milchstraße und dunklen Molekülwolken, die neben Tafeln voller Formeln hängen. Ihr Kindertraum vom eigenen kleinen Planetarium mit Kuppel im Garten erfüllte sich zwar nicht, aber nach der Schulzeit blieb ihre Faszination für Sonne, Mond und Sterne der Motor einer außergewöhnlichen akademischen Karriere. Sie ist eine der wenigen Frauen in diesem Bereich. Als erste Frau überhaupt ist sie zudem Präsidentin der Deutschen Astronomischen Gesellschaft.

Walch-Gassner fahndet mit ihrem Team nach Antworten auf viele Fragen: Wie und wo entstehen welche Gestirne? Was beeinflusst die Entwicklung in den Molekülwolken, wo die Sterne keimen? Welche Rolle spielen dabei »Scheiben« aus Gas und Staub, die sich währenddessen bilden und um die eigene Achse drehen? Und welche Faktoren beeinflussen, ob zum Beispiel ein Kraftwerk wie eine massereiche Sonne geboren wird oder ein nur schwach leuchtender »brauner Zwerg«?

Turbulente Kinderstuben

Die Kölner Expert*innen aus der Astrophysik und Astronomie blicken mit hochspezialisierten Beobachtungsinstrumenten und mit Messungen im Infrarot- und Submillimeterbereich Lichtjahre zurück, um neue Erkenntnisse über das kosmische Werden und Vergehen zu gewinnen – auch im Rahmen des im Frühjahr bewilligten Sonderforschungsbereichs 1601 »Die Kosmische Entwicklung der Lebensräume massereicher Sterne«.

Professorin Dr. Stefanie Walch-Gassner simuliert die Lebenszyklen von Sternen im Zeitraffer.

Die stellaren Geburtsstätten sind verborgen in gigantischen, durchs All wabernden Molekülwolken aus Staub und Gas, hauptsächlich Wasserstoff. Von der Erde aus gesehen funkeln Galaxien wie die Milchstraße, aber andere erleuchtete Regionen im Weltall werden überlagert von solchen fragilen Gebilden, die das Sternenlicht verschlucken. Diese durchs All mäandernden Molekülwolken mit ausgefransten Auswüchsen spielen für die Geburt der Sterne eine elementare Rolle. Auch der Staub im Universum ist wesentlich, damit aus einem Körnchen ein »Star« wird.

»In einzelnen Molekülwolken stecken oft 10.000 Sonnenmassen und mehr, daraus kann man viele Sterne machen «, erklärt Walch-Gassner. Was genau für ein Stern oder Planet darin entsteht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die genau untersucht werden: etwa von Dichte und Druck, Temperatur, Strahlung und Wind. In diesen Kinderstuben der Gestirne geht es sehr turbulent zu. Galaktische Winde wirbeln. Es ist extrem kalt, um die minus 260 Grad Celsius oder circa zehn Kelvin.

Vermessen werden die Wolken im mit bloßem Auge nicht sichtbaren, längeren Infrarot- und Submillimeterbereich des Lichts. Zu verwendeten Instrumenten gehören etwa das Hubble Space- und das James Webb-Weltraumteleskop. Das mit Beteiligung der Uni Köln entwickelte Fred Young Submillimeter-Teleskop soll in der chilenischen Atacama-Wüste demnächst in Betrieb gehen. Um die enormen Mengen an gesammelten Daten zu verarbeiten, sind mehrere Superrechner im Einsatz: in Köln und am Forschungszentrum Jülich sowie mithilfe des Super- MUC-NG des Leibniz-Rechenzentrums in Garching.

Fliegende Teppiche im All

Damit aus Staub und Gas ein Stern entsteht, müssen Dichte und Temperatur im Zentrum der Protosterne – einer Vorstufe zu voll ausgebildeten Sternen – so hoch werden, dass das nukleare Brennen darin startet, so die Expertin. Es entsteht eine Art Fusionsreaktor von gewaltiger Energie, der zunächst Wasserstoff zu Helium verschmilzt. Erst dann spricht die Wissenschaft von einem neuen Stern. Die Masse dieser leuchtenden Fusionsreaktoren im All ist sehr unterschiedlich. Wenn der Wasserstoffvorrat in ihrem Inneren aufgebraucht und sozusagen der Tank leer ist, können nur besonders schwere Sterne weitere Brennprozesse zünden. Dadurch entstehen wiederum viele weitere chemische Elemente.

3D-Druck einer simulierten Molekülwolke, 10.000.000.000.000.000.000 Mal kleiner, als sie im Weltall wäre

Im frühen Entstehungsstadium ballen sich im Wolkennebel Megakräfte zusammen. In manchen Bereichen ist die Dichte erhöht. Damit steigt die Anziehungskraft, es wird weiteres Gas aus der Umgebung angesogen. Um einen Kern aus besonders dichtem Gas und Staubteilchen formen sich ringähnliche »Akkretionsscheiben« aus dem Gemisch: schwerere Staubteilchen setzen sich zur Mitte hin ab und bilden größere Klümpchen. Der stellare Staub ist auch ein Katalysator für die Bildung von Molekülen im All. An den eiskalten Staubteilchen lagern sich Wasserstoffatome an, verbinden sich zu molekularem Wasserstoff und werden dabei abgestoßen. Die Körnchen schirmen die neuen Moleküle gut vor schädlicher UV-Strahlung ab. Zudem können komplexe organische Moleküle an der Stauboberfläche entstehen. Die anfangs fragilen Gebilde rotieren um das dichtere Zentrum. Sie können weiteres Gas und Staub aus der Umgebung an sich binden, größer werden und sich stabilisieren.

»Diese sich drehenden Scheiben füttern den jungen Protostern im Zentrum, sodass er heranwachsen kann«, sagt die Astrophysikerin über die »fliegenden Teppiche«. Akkretionsscheiben sind in geburtenstarken Regionen des Kosmos wie zum Beispiel dem Orionnebel zu entdecken. Die Zeitskalen vom ersten Keim bis zum Planeten oder Stern können Millionen Jahre umfassen. Das veranschaulichen am Institut entwickelte 3D-Simulationen im Super-Zeitraffer. In einem Modell kann man zum Beispiel in rund dreißig Sekunden am Computer den Entstehungsprozess eines Zwillingssterns wie einen Farbfilm ablaufen lassen, der in der Realität wohl um die 100.000 Jahre dauern würde.

Schöpfung spielen

Walch-Gassner entwickelt auch eigene Modellsimulationen, um die verschiedenen Phasen der Sternentstehung zu verstehen. Die dafür verwendeten Codes seien schneller als andere, viele werden eigens am Institut programmiert, dabei werden Daten für Modell-Galaxien in dreidimensionale Darstellungen über- setzt. Sie bestehen aus vielen Millionen Datenzellen.

Die Werte werden mathematisch numerisch zusammengefügt, in einem Gitter mit verschieden feiner Auflösung wer den Daten zu vielen Faktoren hinterlegt. Walch-Gassner und ihr Team können dann nach Wahl verschiedene physikalische Größen simulieren. Von Temperatur und Dichte bis Druck, Kühlung und Wärmeaustausch: Es lassen sich Informationen gezielt abfragen oder Faktoren verändern. »Wir spielen damit auch ein bisschen Schöpfung«, so Walch-Gassner, »wir schalten zum Beispiel die Anziehungskraft aus oder den Sternenwind an und gucken, was passiert«. Damit kann das Forschungsteam sehen, wie sich veränderte Bedingungen auf die Sternentwicklung auswirken würden. »Das kann man beliebig kompliziert machen, und das machen wir auch.« Die Forscherin interessiert dabei, was relativ gesehen wichtiger ist, die Dynamik in ganzen Galaxien oder das Entstehen der einzelnen Sterne und ihre gegenseitige Beeinflussung: das stellare Feedback.

Gerade ist Walch-Gassner dabei, sich im Rahmen des SFB 1601 die Entstehung von Sternen mit mehr Masse anzuschauen. Die Schwergewichte bilden sich recht selten, meistens in Mehrfachsystemen mit Partnersternen. Ihre Lebensdauer ist eher kurz, der Energieausstoß groß, im Inneren herrschen extrem hohe Temperaturen. Die Frage sei beispielsweise, wie das Gas angesammelt wird und ob die masse- reiche Sternentstehung durch bestimmte Faktoren »getriggert« wird. Um die Entstehung von Sternen im Detail zu verstehen, braucht es Walch- Gassner zufolge neue Konzepte und die besten Codes – eine Aufgabe, die die Astrophysikerin auch in Zukunft noch mit Begeisterung angehen wird.

 

SiLCC
Im Rahmen des Projekts »Simulating the Life Cycle of Molecular Clouds« (SiLCC) erforschen Wissenschaftler*innen in 3DSimulationen den Lebenszyklus molekularer Wolken. Mit generierten Computerbildern etwa von Zwerggalaxien oder einem Teil der Milchstraße erforschen sie modellhaft physikalische Prozesse der Sternentwicklung im Zeitraffer. Neben den Teams um Walch- Gassner und andere theoretische Physiker*innen in Köln sind Forschende des Max-Planck- Instituts für Astrophysik in Garching, des Astronomischen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften sowie der Universitäten Heidelberg und Cardiff beteiligt.

SONDERFORSCHUNGSBEREICH 1601
Der SFB erforscht die Sternentstehung mithilfe von Laborastrophysik, eigens entwickelten Instrumenten, Beobachtungen mit Teleskopen, theoretischer Modellierung und Simulationen. Er verbindet hochaufgelöste Studien massereicher einzelner Sterne mit Studien über das gesamte System einer Galaxie. Der SFB mit Professorin Dr. Stefanie Walch-Gassner als Sprecherin ist Teil des Kölner Kernprofilbereichs »Quantenmaterie und -materialien«. Verbundpartner sind die Universität Bonn, das Forschungszentrum Jülich und das Max-Planck-Institut für Radioastronomie