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Neu entdeckter Gendefekt verbindet erstmalig Mikrozephalie und Zwergenwuchs mit Netzhautdegeneration

Einer Gruppe von Wissenschaftlern der Universität zu Köln und der University Edinburgh ist es gelungen, bisher unbekannte Mutationen in dem Gen PLK4 zu finden. Diese Mutationen können beim Menschen einerseits Mikrozephalie und Kleinwuchs, andererseits aber auch Erkrankungen der Retina bewirken. Dass beide Symptome bei den Betroffenen zusammen auftreten, ist ein Novum. Man kennt inzwischen einige Gene, deren Mutation das eine oder das andere bewirken, aber niemals beides zusammen.

PLK4 (polo-like kinase 4) kontrolliert die Vermehrung der Zentriolen in der Zelle und hat damit eine zentrale Funktion bei der Bildung von Zentrosomen und Zilien inne. Zentrosomen bilden die Spindelpole während der Mitose und sorgen für einen geordneten Ablauf der Zellteilung. Zilien sind hingegen für die Motilität der Zellen zuständig. Ihr gemeinsamer Nenner sind die Zentriolen als das zentrale Strukturelement beider Organellen.

Aus Experimenten an Tiermodellen weiß man, dass der Verlust von PLK4 mit dem Leben unvereinbar ist. Mutationen bei lebenden Menschen zu finden ist daher wenig wahrscheinlich. Der Kölner Arbeitsgruppe um Peter Nürnberg vom Cologne Center for Genomics (CCG) und Angelika Noegel vom Zentrum für Biochemie der Medizinischen Fakultät sowie der Arbeitsgruppe von Andrew Jackson von der University of Edinburgh ist es nach langer Suche nun doch gelungen, solche Mutationen bei Personen mit schwerem angeborenen mikrozephalen Kleinwuchs nachzuweisen. Ihr Artikel “Mutations in PLK4, encoding a master regulator of centriole biogenesis, cause microcephaly, growth failure and retinopathy” ist in der aktuellen Ausgabe von „Nature genetics“ erschienen.

„Dieses Gen ist eigentlich zu wichtig, als dass ein Mensch mit einer Mutation in diesem Gen leben kann“, erklärt Professor Peter Nürnberg (CCG). Nun konnten er und seine Kollegen nachweisen, warum es in Ausnahmefällen doch möglich sein kann: „Es handelt sich nur um einen sehr kleinen Teil des Proteins, der durch die Mutation verloren geht“, so der Genetiker. Es war schon seit längerem bekannt, dass PLK4 wichtig für die Bildung von sogenannten Zentriolen ist. Bisher hatte man aber keine Mutationen in diesem Gen gefunden. Der Grund: Beim „Knock-out“, dem genetischen Ausschalten des Gens, starben die Modellorganismen als sehr frühe Embryos noch im Muttertier ab. In einer Familie aus Pakistan sowie Patienten aus Madagaskar und dem Iran gelang es nun den Wissenschaftlern aus Köln und Edinburgh zwei Mutationen des Gens zu finden, die auf unterschiedliche Weise bewirken, dass in beiden Fällen nur ein vergleichsweise kleiner Schaden am Protein entsteht. „Die Funktion des Proteins ist dadurch nicht komplett aufgehoben, das Individuum bleibt lebensfähig“, so Professor Nürnberg.

Das gefundene Gen ist für die Bildung von Zentriolen verantwortlich. Zentriolen bilden den Kern von Zentrosomen. Sie haben zwei wichtige Aufgaben: Einerseits steuern sie die Zellteilung, da sie bei der Zellteilung die Punkte der Teilungsspindel bilden. Nur wenn sie da sind, kann die Zelle die Chromosomen richtig auf die Tochterzellen zu verteilen. Geschieht das nicht, dann sind oft gravierende Entwicklungsstörungen die Folge.

Andererseits steuern Zentriolen auch die Bildung von Zilien. Zilien, die Ausstülpungen der Plasmamembran der Zellen sind, sind für viele biologische Prozesse wichtig. Viele Erberkrankungen haben deshalb ihre Ursache in Defekten der Zilien. Dementsprechend können bei der Mutation des Gens zwei Phänotypen auftauchen: Zentriolenerkrankungen mit Mikrozephalie und Zwergenwuchs oder Zilienerkrankungen mit Netzhautdegeneration oder der falschen Anordnung von Organen.

Bisher kannte man nur einen von beiden Phänotypen. Bei den nun untersuchten Fällen zeigten die Phänotypen beide Formen von Erkrankungen. „Die Kollegen in Edinburgh konnten zeigen, dass es von der Menge an Genprodukt abhängt, welche Erkrankung auftritt“, so Nürnberg. „Wenn das Genprodukt sehr reduziert ist, dann werden auch die Zilien gestört. Die Effekte auf die Zellteilung treten schon früher ein“, so der Genetiker. Zuerst kommt eine Störung des Wachstums, dann erst eine Störung der Zilien. Dann treten die ersten Schädigungen bei den Photorezeptoren auf, bei sehr extremen Fällen kann auch die Lateralität des Körpers betroffen sein: die Organe sind links-rechts vertauscht.

„Unsere Forschung zeigt, wie die beiden Phänotyp-Gruppen molekular zusammenhängen“, erklärt Peter Nürnberg. Die Frage, warum bei den Wachstumsstörungen zuerst das Gehirn betroffen ist, beantworten die Wissenschaftler so: „Wir gehen davon aus, dass die Neuronen viel empfindlicher in der Wachstumsphase sind.“

Die Ergebnisse des internationalen Forscherteams kamen durch einen Mix von Methoden zustande, die sich gegenseitig ergänzten. Zuerst suchten die Genetiker mit Hilfe der sogenannten Kopplungsanalyse nach relevanten Chromosomenabschnitten im Erbgut. „Man schaut bei den betroffenen Familien nach homozygoten Bereichen, in denen die elterlichen Chromosomen identisch sind“, erklärt Nürnberg. Kommen diese Abschnitte bei allen Betroffenen der Familie vor, dann suchen die Wissenschaftler dort nach Mutationen. „Das erfolgt heute nicht mehr Gen für Gen, sondern es werden alle Gene auf einmal geprüft durch die sogenannte Exom-Sequenzierung.“ Auf diese Methode haben sich die Kölner Wissenschaftler in den letzten Jahren spezialisiert und damit zahlreiche neue krankheitsverursachende Genvarianten entdeckt. Auch in diesem Fall war die Exomsequenzierung erfolgreich und förderte die gesuchte Mutation im PLK4-Gen zutage. Schließlich konnten die schottischen Kollegen eine zweite Mutation in Ihren Patienten identifizieren und den Gen-Defekt am Fischmodell replizieren. „Jahrelang haben wir gemutmaßt, dass da auch etwas mit PLK4 sein könnte, was diese Erkrankungen auslöst“, so Peter Nürnberg. „Jetzt haben wir es gefunden.“


Bei Rückfragen:
 

Professor Dr. Peter Nürnberg
Tel: +49 221 478 96801
E-Mail: nuernbergSpamProtectionuni-koeln.de