Kölner Studierende waren gemeinsam mit Kommilitonen aus Namibia auf Feldforschung in dem südwestafrikanischen Land. Sie wollten herausfinden, wie die ländliche Bevölkerung zwischen Klimaveränderung und schlechter Wirtschaftslage in die Zukunft blickt. Worauf es besonders ankommt? Die Kraft positiver Vorbilder.
Text & Fotos von Frieda Berg
Im einzigen Fleckchen Schatten weit und breit sitzen der Student Brendan Luyanda und seine 40-jährige Interviewpartnerin in dem Dorf Masokotwani auf Plastikstühlen. Die Sonne hat gerade den Zenit erreicht, die Hitze drückt. »Ich wäre gerne in der Lage gewesen, etwas Geld zurückzulegen, um meinen Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen«, sagt die alleinstehende Frau, eine dreifache Mutter, die sich mit Gelegenheitstätigkeiten wie Samen säen oder Gras ernten finanziert. »Aber alles was ich tue, ist jeden Tag ums Überleben zu kämpfen.«
Hühner rennen im Sand hin und her, während hinter dem Vorhang, der den Eingang zur etwa 20 Quadratmeter großen Hütte markiert, neugierige Kinderaugen hervorblitzen. Einige Meter entfernt zerreibt eine jüngere Frau in stoßendem Rhythmus Maiskörner zu Maismehl für die Stärkebeilage »Pap«. Brendan Luyanda übersetzt die Antworten seiner Interviewpartnerin aus der Bantu-Sprache Silozi ins Englische, damit auch die deutschen Studierenden dem Gesprächsverlauf folgen können. Die wiederum protokollieren das Gespräch mithilfe eines vorab erarbeiteten Interviewleitfadens.
Daten zu lokalen Überlebensstrategien
Masokotwani liegt in der Sambesi-Region im nordöstlichen Zipfel von Namibia. Hier leben knapp 100.000 Menschen, die Arbeitslosenquote liegt mit 38 Prozent (2018) über dem nationalen Durchschnitt von 34 Prozent. Die ländlichen Gebiete außerhalb Katima Mulilos, der regionalen Hauptstadt, haben nur schwer Zugang zu sekundärer Bildung. Viele Dörfer sind noch nicht an das Stromnetz angeschlossen, die Wasserversorgung hängt oft von der Nähe zu einem Fluss ab. Diese infrastrukturellen Defizite führen zu chronischer, tagtäglicher Unsicherheit. Noch dazu erlebte das Land 2018 und 2019 die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. Für die Bauern und Bäuerinnen wurde es gerade in einer solchen Trockenzeit äußerst mühsam und mitunter sogar unmöglich, die eigenen Beete zu bewässern. Drastische Ernteausfälle waren die Folge. Wie Menschen im Alltag mit diesen existentiellen Unsicherheiten umgehen, welche Strategien sie entwickeln – das will das studentische Forschungsteam aus Köln, Windhuk und Katima Mulilo im Juli 2019 während eines Geländepraktikums in der Sambesi-Region herausfinden.
Die insgesamt 22 Interviews, 14 Fokusgruppengespräche und über 200 ausgefüllten Fragebögen zur sozioökonomischen Situation ihrer Gesprächspartnerinnen und -partner liefern neue Daten zu den wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungspfaden im Globalen Süden. Das Geländepraktikum ist ein Beispiel für forschungsorientierte Lehre: Studierende lernen, wissenschaftliche Ansätze und Methoden zum Verständnis praktischer Problemen anzuwenden – und können frühzeitig Kenntnisse in der aktiven Forschung entwickeln.
Das richtige Verhalten erleichtert den Zugang
Dass Forschende und Studierende – auch aus Europa – in ihr Dorf kommen, ist für die Bewohner von Masokotwani gar nicht so selten. Doch oft kämen sie mit leeren Versprechungen oder wollten neue Entwicklungsprojekte einführen, hört man von manchen Bewohnerinnen und Bewohnern aus den Dörfern. Einfach nur zuhören und sie sprechen zu lassen, das ist anders. Gerade deshalb müssen sich die Gäste erklären, um Vertrauen zu gewinnen. Als erste Handlung bitten die Studierenden das traditionelle Dorfoberhaupt, den Induna, um eine Besuchserlaubnis. Der Induna ist die Autorität, die im Alltag über die größeren Belange der Gemeinschaft entscheidet. Um mit ihm zu sprechen, ist es entscheidend, die Tradition nicht zu verletzen, weiß Sofia Nifuma, Bachelorstudentin im Studiengang »Wildlife Management and Ecotourism« in Katima Mulilo.
Im Minibus, der unter einem Kameldornbaum geparkt ist, erklärt Sofia ihrer deutschen Kommilitonin Marlen Trolp, wie sie sich höflich vorzustellen hat. »Mach es so«, sagt Sofia und klatscht mit einem lauten Klapp-klapp in ihre Hände. »Du musst erst mit einem Bein tief in die Hocke gehen, dann klapp-klapp zweimal klatschen und dann die Hand schütteln. Zum Abschluss klatschst du noch zwei oder drei Mal in die Hände, um deinen Respekt zum Ausdruck zu bringen. Bei einer ganz alten Frau auf jeden Fall drei Mal.«
Sofia weiht die deutsche Geographiestudentin auch noch in die Kunst des »Shitenge « ein, den sie ihr um die Hüfte bindet. Einen solchen traditionellen »African Wax Print« zu tragen, zeige Respekt. Sofia macht deutlich, dass auch von deutschen Frauen erwartet werde, sich in Shitenge zu kleiden. Die befolgten Regeln und das dahinterstehende Anliegen führen die Gruppe schließlich zum Erfolg: Nicht ein Induna verneint den Eintritt ins Dorf, denn auch ihrerseits hoffen die Dorfgemeinschaften, international Gehör für ihre prekäre Situation zu finden.
Zusammen auf neuen Pfaden
Die Idee, eine solche Lehrkooperation in Namibia durchzuführen, hatte Carolin Hulke vom Geographischen Institut. Die 28-Jährige promoviert dort über die Integration von Kleinbauern in Agrarwertschöpfungsketten und den Einfluss von Umweltschutz auf die Ausgestaltung dieser Wertschöpfungsketten in Namibia und Tansania. Ihr Projekt ist Teil der Arbeitsgruppe »Wirtschaftsgeographie und der Globale Süden« von Professor Dr. Javier Revilla Diez. »Uns ist es wichtig, dass wir nicht über, sondern mit dem Globalen Süden forschen «, sagt Hulke. »Damit es wirklich unsere gemeinsame Forschung ist, haben wir uns bemüht, von Anfang an alle ins Boot zu holen. Über die Distanz ging das, indem viele Gruppen miteinander geskypt haben. So konnten die Studierenden schon im laufenden Semester ihr Forschungsdesign zusammen gestalten und alles vorbereiten.«
Gemeinsam mit ihren namibischen Partnern, dem Doktoranden Jona Heita und der Doktorandin Ewaldine Menjono Katjizeu, organisierte Hulke den Ablauf vor Ort – sei es die Koordination der Tagestouren mit den zur Verfügung stehenden Autos oder das Bereitstellen von Zelten, Emaillebechern und Wasserkanistern für das bevorstehende dreitägige Campen am Kwando-Fluss.
Perspektiven, die in die Lebensrealität passen
Mascha Aring aus Köln ist am frühen Morgen ins Dorf Kapani mitgefahren. »Schon als kleines Kind habe ich mir gewünscht, einen eigenen Laden zu besitzen, und daran hat sich bis heute nichts geändert«, verrät ihr dort eine Dorfbewohnerin. »Um mir hier im Dorf einen Laden aufzubauen, verkaufe ich Grasbündel zum Häuserbau und lege die Einnahmen zurück. Ich hätte gerne ein Auto, damit ich zu einem großen Markt fahren und mein Sortiment erweitern kann.« Es fehle ihr jedoch an Rücklagen für eine solche Investition und an der nötigen Kreditwürdigkeit für die Bank.
Für Mascha stehen die sogenannten Aspirationen der Bewohnerinnen und Bewohner aus den ländlichen Haushalten im Fokus des Interesses: »Aspirationen – das können alle möglichen Wünsche sein, in die man seine Ressourcen investiert, weil man so motiviert ist, sie zu erreichen. Diese Wünsche werden in eine Handlung überführt, die den Lebensverlauf für die Zukunft beeinflussen soll.« Aspirationen entwickeln sich im Rahmen der vertrauten Umgebung – vor allem, wenn sich Menschen mit anderen Menschen vergleichen, die ihnen ähnlich sind.
Somit spielen Vorbilder eine große Rolle in der Entwicklung persönlicher Wünsche. Ebenso beeinflussen konkrete Vorbilder, ob und wie man seine Aspiration in einen konkreten Plan umsetzt. Prekäre Lebensverhältnisse bloß als ein Zusammenspiel von institutionellen und materiellen Faktoren zu betrachten, werde der Bedeutung persönlicher Entscheidungen und des eigenen Charakters meist nicht gerecht, weiß Seminarleiterin Hulke: »Bestrebungen der Betroffenen zu erfassen, kann individuelle Beweggründe in das Gesamtbild integrieren und zu neuen Einsichten und Erklärungsmustern führen. Diese ›von unten‹ gewonnenen Erkenntnisse sind auch für politische Entscheidungsträger interessant, um Strategien für eine bessere Zukunft zu entwickeln, die auch wirklich in die Lebensrealität passen.«
Das direkte persönliche Umfeld inspiriere und befähige viele Menschen mehr dazu, neue Pläne zu schmieden, als ein vorgesetztes Programm der Regierung.
Erfolge zwischen Kohlköpfen und Kindergärten
Am abendlichen Lagerfeuer am Kwando- Camp trifft Studentin Mascha die anderen wieder. Bei einem selbstgekochten Reisgericht lässt die Truppe den Tag Revue passieren. Mascha berichtet von einem Gespräch, das ihr besonders in Erinnerung geblieben ist. Eine ihrer Interviewpartnerinnen plante, einen Kindergarten in ihrem Dorf zu eröffnen – so, wie sie es in einem benachbarten Dorf gesehen hatte.
Die Erfolgsgeschichte der Nachbarin hatte die junge Frau so beflügelt und inspiriert, dass sie nun, wo es geht, Geld zurücklegt. Davon möchte sie die für das Gebäude notwendigen Materialien kaufen. Auch Ferdinand Koch aus Köln und der Windhuker Masterstudent Manfred 'Gaeb treffen bei dem Geländepraktikum auf einen echten »self-made man«, den Ackerbauer Clemens Makumbi. Er empfängt die Gruppe auf seinem Grundstück in unmittelbarer Nähe des Sambesi-Flusses und gibt eine Führung durch seine Gemüsefarm mit seinem selbst gebauten Bewässerungssystem: die Tröpfchenbewässerung ist die sparsamste und effektivste Form der Bewässerung. Nachdem er in Windhuk als Sicherheitsbeamter gearbeitet hatte, kehrte Clemens in das Dorf seiner Kindheit zurück. Hier legte er seinen ersten kleinen Garten an. »Es ist schon krass, dass er sich alles selbst beigebracht hat«, meint Ferdinand. »Clemens ist zum Beispiel nach Sambia gefahren, um bessere Tomatensamen zu kaufen. Wieviel Wasser welche Pflanze zu welchem Zeitpunkt braucht, das hat er alles durch Ausprobieren gelernt und seinen Betrieb dann mehr und mehr vergrößert.« Mittlerweile beschäftigt er eine Reihe von Angestellten aus der Umgebung – nicht nur für die arbeitsintensive Landwirtschaft, sondern auch, um immer wieder die diebischen Affen von den Gemüsefeldern zu verjagen. Vierzehn Tage Geländepraktikum haben die Studierenden aus Windhuk, Katima Mulilo und Köln zusammengebracht. Carolin Hulke freut sich darüber, was durch diese Kooperation angestoßen wurde: »Es muss nicht nur die ›Entwicklungshilfe‹ aus dem Globalen Norden sein. Von einem Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe können die Menschen mitunter mehr profitieren – sei es, dass benachbarte Dörfer ihre guten Ideen austauschen oder dass unsere Studierenden aus beiden Ländern zusammen forschen.«
DAS LEHRPROJEKT
Das Geländepraktikum, das in Köln die Doktorandin Carolin Hulke und Professor Dr. Javier Revilla Diez leiten, wird im Master Geographie angerechnet. Von der namibischen Seite betreuen der Dozent Jim Kairu (Fachbereich »Wildlife Management und Ökotourismus«) und die Dozentin Ellen Kimaro (Fachbereich »Geographie, Geschichte und Umweltwissenschaften «) das Studienprojekt als erfahren lokale Wissenschaftler. Die Lehrveranstaltung findet im Rahmen der bestehenden internationalen Forschungskooperation durch den transregionalen Sonderforschungsbereich 228 »Future Rural Africa – Die Zukunft des ländlichen Afrika« (Sprecher: Professor Dr. Michael Bollig und Professor Dr. Detlef Müller-Mahn) statt. Die Ergebnisse aus der Feldstudie fließen in das Teilprojekt »Future in Chains« des Sonderforschungsbereichs ein.
Sambesi-Region – Früher Caprivi-Zipfel genannt, ist die Sambesi-Region ein schmaler Landstreifen im Nordosten Namibias. An dieser Spitze grenzt Namibia an Angola, Sambia, Simbabwe und Botswana. Die Region wird durchzogen von den drei Flüssen Sambesi, Chobe und Kwando und weist im nationalen Vergleich die höchsten Niederschläge auf. Die Hauptstadt der Region ist Katima Mulilo (in der Regionalsprache Silozi »Lösch das Feuer«). Sie verfügt über einen eigenen Campus der University of Namibia und einen Flughafen.
studentisches Forschungsteam – Acht Studierende aus Deutschland und neun aus Namibia sind in diesem forschungsorientierten Lehrprojekt der University of Namibia und der Universität zu Köln zusammengekommen. Sie untersuchen Potenziale, Herausforderungen und Konflikte der Ressourcennutzung in der Sambesi-Region. Finanziell wird das Projekt vom Netzwerk »Remapping the Global South: Teaching – Researching – Exchanging« des DAAD unterstützt. Die Kleingruppen beschäftigten sich mit vier zentralen Themen: Der Kategorisierung von »Livelihood«-Strategien unter besonderer Berücksichtigung ihrer Einkommensdiversifizierung, dem Einfluss von formellen und informellen Institutionen auf die Handlungsspielräume der Menschen, Aspirationen und Visionen der Menschen, und der Ausprägung von zwei wichtigen Wertschöpfungsketten in der Region: Tourismus und Gartenbau.
Weitere Infos:
GSSC | Global South Studies Center
Prof. Dr. Michael Bollig