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Herren des Datendschungels

Welche Potenziale unsere Daten bergen. Ein Interview mit den  ProfessorInnen Hernán Bruno, Jörn Grahl und Esther Kang.

Zeichnung mit Grafiken zum Thema Big Data

Die Digitalisierung verursacht eine tiefgreifende Wandlung unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Systeme. Big Data ist das neue Schlagwort in den Medien, der Big Data Scientist ein gefragter Experte, der Sinn in die enormen, von uns erzeugten Datenmengen bringen soll. An der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät geht man diesem Wandel in der neu gebildeten Forschungsinitiative „Digital Transformation and Value Creation“ auf den Grund. Unter Koordination von Prof. Dr. Werner Reinartz forschen derzeit zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, wie Unternehmen, Kunden aber auch Individuen von dem digitalen Wandel profitieren können. Wir haben Hernán Bruno, Professor für „Marketing and Digital Environment“, Jörn Grahl, Professor für „Digital Transformation and Analytics“, und Esther Kang, Juniorprofessorin für „Consumer Psychology and Behavior“ gefragt, welches wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenzial die immer stärkere Digitalisierung birgt. 

In letzter Zeit trifft man immer häufiger auf den Begriff „Data Scientist“. Von der Harvard Business Review wurde der Data Scientist sogar als „the sexiest job” des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Was macht diesen Job so bedeutend? 

Grahl: Wir erzeugen mittlerweile Unmengen an Daten, allein schon durch die Art und Weise wie wir unsere Smartphones benutzen. Dabei stellt sich die Frage, welche Informationen diese Daten enthalten und für welche Zwecke sie eingesetzt werden können. Der Big Data Scientist arbeitet an der Schnittstelle zu allen Bereichen, die an einer Interpretation der Daten interessiert sind. Das ist ein sehr kreativer Job, er verbindet Wirtschaftsinformatik mit Marketingund strategischen Aspekten.

Wenn wir so viele Daten erzeugen, wie verändert sich dadurch unser Mediennutzungsverhalten? 

Kang: Heute haben wir ständig mobile End geräte zur Hand und damit jederzeit Zugriff auf Informationen. Deshalb haben wir das Gefühl, dass sie ein Teil von uns sind. Quasi eine Art externes Gehirn. Wir müssen uns nicht mehr alle Details merken, weil wir sie jederzeit nachlesen können. Unser Gedächtnis spezialisiert sich also darauf, wo wir Informationen finden und nicht darauf, was Inhalt der Information ist. Wir speichern also nur noch Schlagworte oder Informationsquellen, nicht mehr die Informationen selbst. Letztendlich wird das die Art und Weise verändern, wie wir Informationen aufnehmen. 

Grahl: Es gibt mittlerweile mehr Informationen als wir Menschen verarbeiten können. Oft brauchen wir Filter, die Wichtiges von Unwichtigem trennen können. Die großen Dienste, wie Google oder Facebook, unterstützen uns dabei, ob wir wollen oder nicht. Das kann gefährlich sein. Denn was der Verbraucher nicht sieht, erfährt er auch nicht. Sie wissen nicht, was Facebook Ihnen nicht zeigt, weil ein Algorithmus im Hintergrund berechnet hat, dass diese Informationen für Sie wahrscheinlich nicht interessant sind. 

Das heißt, wir bewegen uns weg von der Idee einer Demokratisierung von Informationen? 

Grahl: Das ist eine der Gefahren. Das traditionelle Mediensystem war transparenter in dem Maße, als Journalisten aufgrund ethischer oder demokratischer Vorstellungen Informationen gefiltert haben. Auch dieses System war sicherlich nicht perfekt. Aber die technischen Filter, die in modernen Medien arbeiten, sind sehr komplex und für die Nutzer ist es sehr viel weniger transparent wie sie funktionieren, und ob sie gerade verwendet werden. 

Bruno: Um die Jahrtausendwende waren wir noch überzeugt davon, dass wir über die neuen Medien eine Demokratisierung von Wissen erreichen würden. Heute stellen wir fest, dass das nicht der Fall ist. Wenn Sie heute eine Suchanfrage im Internet stellen, wählt Google Informationen aufgrund Ihres Profils und Ihrer Verlaufsdaten aus. Dies übrigens auch aufgrund früherer Suchanfragen, die Sie gestellt haben, oder auf Basis der Dinge, die Ihnen gefallen. Auch Ihre Freunde filtern Informationen für Sie, über soziale Medien wie Facebook. Sie erhalten also immer Informationen aus einem speziellen Blickwinkel. Die Vorstellung, dass uns alle Informationen zur Verfügung stehen, stimmt zwar. Aber durch all die algorithmischen und sozialen Filter erhalten wir einen sehr viel engeren Blickwinkel. Möglicherweise noch sehr viel enger als dies mit dem Aufkommen identischer Inhalte in den Massenmedien der Fall war. 

Kang: Allerdings suchen wir nicht nur nach Informationen, wir produzieren auch selbst Inhalte. Denken Sie zum Beispiel an einen Online-Newsletter: Wir erhalten nicht nur die Inhalte auf sehr einfachem Wege, wir können sie auch online kommentieren und wir erfahren gleichzeitig, wie andere über ein Thema denken. Den Lesern stehen damit alle Facetten an Informationen zur Verfügung. Durch die Interaktion tragen die Leser außerdem selbst dazu bei, dass sich die Qualität und Quantität von Information verbessert. 

Betrachten wir einmal die Kundenseite. Wird im Internet anders geworben? 

Bruno: Wir wissen heute sehr viel mehr über die Kunden als früher. Sicherlich ist es dadurch einfacher und kostengünstiger, sie zielgerichtet zu bewerben. Kunden erhalten Werbung zu Dingen, nach denen sie im Netz gesucht haben. Das funktioniert mehr oder weniger automatisch: Sie öffnen eine Webseite, hinter der ein Server steht, der binnen Millisekunden Ihr Profil an einen anderen Server schickt. Und in weiteren Millisekunden erhalten Sie Werbung, die genau auf Ihren Bedarf zugeschnitten ist. Wir können heute noch nicht sehen, wohin sich das Ganze entwickeln wird. Entscheidend ist aber, dass Durchschnittswerte für ein Produkt aus der Sicht von Unternehmen wenig informativ sind. Es gibt Kunden, die das Produkt lieben, und andere, die es nicht mögen. Sie brauchen aber die Kunden, die das Produkt lieben. Und Sie müssen die Menschen identifizieren, die das Produkt lieben. Dafür brauchen Sie das Verhalten auf individueller Ebene und eben auch Daten auf individueller Ebene. 

Erzeugt das Internet dabei neue Kundenwünsche? 

Bruno: Die Kundenwünsche haben sich nicht verändert. Es sind dieselben, wie wir sie immer hatten: das Bedürfnis, sich mit anderen zu vernetzen, für die Familie zu sorgen, das Leben zu genießen, Dinge zu lernen und zu erkunden. Die digitalen Technologien erzeugen aber in gewisser Weise neue Möglichkeiten, diesen Bedürfnissen zu begegnen. Und Unternehmen können diese Möglichkeiten für sich nutzen. 

Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft. Gibt es absehbare Trends? 

Bruno: Vermutlich wird sich alles weiter hin zum Mobilen bewegen. Die Anbieter, Google, Facebook oder WhatsApp, kämpfen schon jetzt um unsere Aufmerksamkeit: Wir erhalten Nachrichten, Updates, Fotos, und der Bildschirm unseres Smartphones wird dabei immer mehr zur Plattform selbst. Innerhalb der nächsten Jahre wird sicher auch die sogenannte Augmented Reality, also die virtuelle Realität, eine Rolle spielen. Wir werden immer stärker in Experimente mit dieser virtuellen Realität eingebunden werden. 

Kang: Vermutlich wird alles mit dem Internet verbunden sein. Auch Autos werden in Zukunft auf diese Weise entwickelt und vermarktet. Google produziert ja bereits eigene Autos. Das ist eine neue Entwicklung. Dazu gewinnen Unternehmen individuelle Kundeninformationen, auf Basis derer sie neue kundenspezifische Produkte entwickeln können. 

Werden Produkte in Zukunft überhaupt noch außerhalb des Internets angeboten? 

Grahl: Ich denke, die entscheidende Frage ist, welchen Teil menschlichen Verhaltens, und damit auch des Konsumentenverhaltens, wir digital abbilden wollen und können, und welchen Teil nicht. 

Bruno: Wir leben immer noch in einer physikalischen Welt. Und wir haben immer noch Geschäfte. Aber in Zukunft werden die reale und die digitale Welt stärker vernetzt sein. Gestern habe ich beispielsweise diese schönen Schuhe gekauft und ich musste sie anprobieren, weil ich die Marke nicht kannte. Meine Laufschuhe kaufe ich online, weil ich da weiß, was für eine Größe ich brauche. Wir machen also reale Erfahrungen und wir brauchen dafür andere Menschen. 

Kang: Apple ist da ein gutes Beispiel. Der Zweck von Apple-Filialen besteht nicht darin, Produkte zu verkaufen. Es geht darum, den Konsumenten Erfahrungen mit den Produkten machen zu lassen. In der Regel kaufen die Menschen ihre Produkte heute online. Die Marketingstrategie verändert sich also. Geschäfte ermöglichen direkte Erfahrungen. Es geht nicht mehr um den Verkauf von Produkten. Der findet online statt. 

Wir haben über den Endverbraucher gesprochen. Wie sieht es mit dem B-to-BBereich aus? Wie werden Unternehmen in Zukunft miteinander kommunizieren?

Grahl: Neue Medien spielen in B-to-B-Prozessen eine kleinere Rolle. Wenn Sie einen Teil Ihrer Firma verkaufen, dann interessiert es Sie wahrscheinlich weniger, was Facebook dazu sagt. Im B-to-B-Bereich gibt es wohl weniger substantielle Veränderungen, die der Entwicklung des Web geschuldet sind. Große Transaktionen werden immer noch von Menschen gemacht. 

In Zukunft wird es aber auch um andere Dinge gehen. Es wird spannend sein zu sehen, ob soziale Medien und das Web bei der Lösung der großen Probleme weltweit helfen können. Beispielsweise bei der Verbesserung des Zugangs zu Bildung. 

Führt nicht der unterschiedliche Zugang zu den Medien eher dazu, dass sich die Kluft zwischen unterschiedlich entwickelten Ländern vergrößert? 

Grahl: Nein, in Zukunft werden wohl eher mehr Länder Zugang zum Internet haben. 

Bruno: Ich sehe vor allem politische Barrieren. In China gibt es zwar eine entsprechende Infrastruktur. Aber eben auch eine politische Entscheidung, bestimmte Informationen zu blocken. 

Kang: Die Universitäten werden sich verändern. Studierende haben heute über Online-Medien Zugang zu jeglicher Information. Früher, als meine Eltern und meine Großeltern noch studierten, musste man akzeptieren, dass man die Informationen von den Professoren erhielt. Die Professoren hielten das gesamte Wissen inne und die Studierenden nahmen es auf. Über moderne Medien können Studierende nun sehr viele Informationen direkt beziehen. Für uns als Lehrende stellt sich dabei die Frage, was für eine Art von Information wir vermitteln sollen. Denn dadurch, dass die Studierenden bereits während eines Seminars zusätzliche Informationen aus verschiedenen Online-Quellen beziehen, setzt jeder die vermittelten Inhalte in einen anderen Kontext oder versteht sie anders. 

Eröffnet das den Universitäten neue Märkte? 

Bruno: Eine Zeitlang kamen einige Bildungsunternehmen auf den Markt, Coursera oder Udacity zum Beispiel. Für bestimmte Themen, wie Informatik oder Physik, und Zielgruppen funktioniert das sehr gut. Aber eben nicht für alles und jeden. Die Frage ist, inwieweit Bildung automatisiert werden kann. Einige Jobs lassen sich nicht durch Computer ersetzen, Jobs, die Rhetorik, Charisma, emotionale Intelligenz und Empathie erfordern. Es wird immer eine Ebene geben, die von Menschen vollzogen werden muss. Die Motivation anderer Menschen etwa. Es wird wohl noch sehr lange dauern, bis ein globaler Vertrieb von einem Roboter gelenkt wird. Das gilt auch für den Bildungsbereich. Lehrer können als Motivatoren wirken, als jemand, der die richtige Richtung aufzeigt und ein Vorbild ist. Das bedeutet, dass wir Menschen in zwei Dingen trainieren müssen: wie man mit Computern arbeitet, aber eben auch, wie man andere versteht und in Teams arbeitet. 

Studierenden bieten Sie mit dem an der Uni Köln recht neuen Zweig „Digital Transformation“ völlig neue Seminare an. 

Grahl: Dabei geht es um Fragestellungen und Methoden, die für Wirtschaftsstudierende noch neu sind. In einer meiner Vorlesungen behandle ich das Thema Netzwerke. Die Studierenden lernen das Aussehen verschiedener Netzwerke kennen, sozialer Netzwerke, Informationsnetzwerke oder Produktnetzwerke. Sie lernen, wie Netzwerke unser Verhalten beeinflussen, wie man sie analysiert und managt und was das für Unternehmen bedeutet. Im Sommer unterrichte ich Data Science für Wirtschaftsstudierende. Hier lernen die Studierenden, wie sie mit modernen Algorithmen Wissen aus großen Datensätzen extrahieren können. Sie lernen, wie man die Ergebnisse interpretiert, visualisiert und Muster erkennt. Viele komplexe Korrelationen, die wichtig sind für das Business, können wir mit klassischen Methoden der Statistik nicht erkennen. Mit bloßem Auge geht das erst recht nicht. Meistens versuchen wir, das Konsumentenverhalten besser zu verstehen. Oft wollen wir vorhersagen, was der Kunde als nächstes tun wird. 

Bruno: Ich gebe zurzeit ein Seminar, in dem es darum geht, wie mittels digitaler Modelle ein Mehrwert für Unternehmen und Gesellschaft geschaffen wird. Dabei bereite ich jede Stunde so aktuell wie möglich vor, denn wir beschäftigen uns mit Inhalten, die hier und jetzt entstehen. 

Kang: Die digitale Umwelt hat die Art und Weise verändert, in der Rezipienten Informationen verarbeiten. Ihre Lernmechanismen zu erforschen ist entscheidend für die Entwicklung des Markts. Zurzeit gebe eine Masterseminar zum Thema „Consumption in the Digital Age (Konsum im digitalen Zeitalter)“ und eine Vorlesung zum Thema „Consumer Learning in Digital Environments (Lernverhalten von Verbrauchern in digitalen Umgebungen)“. Meine Seminare tragen zu einem umfassenden Verständnis bei, wie Verbraucher in digitalen Umgebungen denken, fühlen und handeln, und welche substanziellen Auswirkungen das in Hinblick auf öffentliche Kampagnen, Online-Werbung und den Umgang mit sozialen Medien hat. 

Haben die Studierenden dadurch bessere Jobaussichten? 

Grahl: Ich denke schon. Im, wie die Medien ihn nennen, attraktivsten Job des 21. Jahrhunderts ist die intelligente Extraktion von Wissen aus großen Datensätze eine absolute Kernkompetenz. 

Kang: Die digitale Transformation macht auch vor der Lehre nicht halt. Wir bieten Studierenden viele Möglichkeiten, sich aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen.