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Gibt es einen Zusammenhang zwischen Asylanträgen und dem Erstarken des Populismus?

Es antwortet Prof. Dr. Christian Unkelbach, Sprecher des Social Cognition Center Cologne (SOCCO)

Symbolzeichnung

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) registrierte in den Jahren 2015 und 2016 mehr als eine Million Asylanträge. Gleichzeitig zeigte sich ein Erstarken populistischer Positionen in Deutschland – prominent sichtbar durch die PEGIDA-Märsche und im Erstarken der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD). Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären?

Eine mögliche Antwort ist, dass Flüchtlinge als eine Beeinträchtigung wahrgenommen werden, beispielsweise aufgrund der Angst vor der Reduzierung verfügbarer öffentlicher Gelder. Um dieser befürchteten Umverteilung entgegenzuwirken, könnten Wählerinnen und Wähler populistischen Positionen unterstützen. Zahlen legen jedoch nahe, dass dies nicht die Erklärung für den Zusammenhang von Populismus, Flucht und Asyl ist. Tatsächlich zeigt sich über alle 16 Bundesländer hinweg der umgekehrte Zusammenhang: je mehr Asylanträge in einem Bundesland gestellt wurden, desto geringer ist dort die Zustimmung der Bevölkerung zu den Positionen der AfD. So gab es in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016 insgesamt 190.625 Asylanträge bei einer Bevölkerung von fast 18 Millionen. Dies entspricht etwa einem Asylantrag pro hundert Einwohner. Neun Prozent gaben bei einer Umfrage an, die AfD wählen zu wollen. NRW ist damit das Bundesland mit den relativ (und absolut) meisten Asylanträgen und zugleich der geringsten AfD-Zustimmung.

Eine psychologische Erklärung ist, dass der Zustrom von Flüchtlingen eine hohe Verunsicherung bei vielen Menschen erzeugt (»Mehr als eine Million!«). Unsicherheit ist für Menschen ein sehr unangenehmer Zustand – und populistische Positionen versprechen eine einfache und schnelle Reduzierung dieser Unsicherheit. Wenn Verunsicherung durch menschlichen Kontakt reduziert wird, reduziert sich auch der Ruf nach schnellen populistischen Lösungen. Dies ist ein Teil der sogenannten »Kontakt-Hypothese« in der Sozialpsychologie. Die große Zahl von einer Million Asylanträgen mag Unsicherheit erzeugen, aber der direkte Kontakt mit nur einigen wenigen Geflüchteten reduziert eben diese Unsicherheit; und damit auch die Zustimmung zur AfD.