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Entrümpeln in den Zellen

Das Protein Ubiquitin sorgt für Ordnung und hält Zellen jung.

Ausmisten kann befreiend wirken. Radikaler Minimalismus, Klarschiff machen mit Ordnungsguru Marie Kondo oder dem Trödeltrupp. Genau das machen unsere Zellen tagtäglich. Jeden Moment. Auch jetzt. Das Putzkommando übernimmt das Protein Ubiquitin, und es sorgt in unseren Zellen nicht nur für Ordnung, sondern hält sie auch jung.

Von Hannah Reiter

Dr. Seda Koyuncu und Professor Dr. David Vilchez in ihrem Labor am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD.

In den letzten 150 Jahren hat sich die Lebenserwartung in Deutschland verdoppelt. Wir werden immer älter. Was allerdings mit fortschreitendem Alter ebenso steigt, und zwar rasant, ist das Risiko für altersbedingte Erkrankungen. Wenn das letzte Drittel unseres Daseins von Krankheit geprägt ist, hat das Auswirkungen auf die Lebensqualität und letztendlich auch auf die Teilhabe am Leben.

Die Forschungen im Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD der Universität zu Köln setzen genau hier an. »Gesundheit auch im Alter, ohne Krankheiten oder mit guten Therapien. Das ist unsere Vision«, sagt der Biomediziner und CECAD-Forschungsgruppenleiter Professor Dr. David Vilchez. Mithilfe eines Modellorganismus, des Fadenwurms Caenorhabditis elegans, haben er und sein Forschungsteam ein essentielles Puzzleteil entschlüsselt: die Rolle des Proteins Ubiquitin für den Alterungsprozess.

Ubiquitin – Das Protein wurde 1975 entdeckt. Als zelluläres »Post-it« steuert es den Proteinabbau. Dazu wird es durch die Ubiquitinase an andere Proteine geheftet, um diese zu entsorgen. Ubiquitin findet sich in allen Zellenvon Tieren, Pflanzen und Pilzen.

Ausmisten – aber mit Augenmaß

Die ursprüngliche Entdeckung von Ubiquitin brachte Aaron Ciechanover, Avram Hershko und Irwin Rose 2004 den Nobelpreis für Chemie ein. Sie entdeckten damals bereits, welche grundsätzliche Funktion es in unseren Zellen übernimmt: es entrümpelt. So sorgt es dafür, das überlebenswichtige Gleichgewicht der Proteine innerhalb einer Zelle zu wahren. Doch das funktioniert im Alter immer schlechter. Was genau in den gealterten Zellen schief läuft, haben Vilchez und sein Team nun herausgefunden.

Aber Schritt für Schritt: Wie entrümpelt Ubiquitin unsere Zellen? Dazu müssen wir uns zunächst einen Kleiderschrank vor Augen führen. Wir öffnen die Türen und schon kommt uns der gesamte Inhalt entgegen. Das T-Shirt hat ein Loch, der kratzige Wollpulli von Tante Käthe ist (endlich!) eingelaufen, die Lieblingsjeans von Anno Dazumal liegt zerknittert hinten links in der Ecke. Zeit auszumisten! Schnell holen wir unsere klimaneutralen Post-it-Zettel zur Hand und kleben sie auf alles, was ausgedient hat. Erledigt!

Alles, was weg soll, liegt nun auf einem Haufen. Aus Nettigkeit gehen wir den Kram noch mal mit unserer Partnerin, unserem Partner oder den Kindern zusammen durch. Die Lieblingshose will eins der Kinder noch tragen. Post-it entfernt. An Tante Käthes Pulli hängen zu viele Erinnerungen, um ihn zu entsorgen. Post-it weg (siehe 3A im Bild). Aber das T-Shirt. Das kommt mit den anderen ausgemisteten Klamotten in den Altkleidercontainer (siehe 3B im Bild). Nach dem Kleiderschrank fällt unser Blick auf das Kinderzimmer unserer Kleinen, die gar nicht mehr so klein sind. Sie brauchen dringend ein Jugendzimmer. Also geht es lustig weiter mit dem Ausmisten.

Überall in unseren vier Wänden finden wir Pröll, den wir anhäufen und gelegentlich ausmisten müssen. Denn nimmt er überhand, ist das für unser Wohlbefinden nicht gut. Wenn alles zugestellt ist, können wir uns nicht mehr frei bewegen oder verschenken kostbare Zeit, wenn wir etwas nicht finden, das wir dringend benötigen. Doch wir sollten es auch nicht übertreiben. Genauso schädlich ist es nämlich, wenn wir alles radikal wegschmeißen und überlebenswichtige Dinge dabei abhandenkommen.

 

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Der Prozess der zellulären Entrümpelung in jungen und alten Zellen: Während in jungen Zellen der Entsorgungsprozess im Gleichgewicht ist, können sich in alten Zellen zu viele Proteine ansammeln. Das schränkt die Zelle in ihrer Funktion ein und kann sogar zum Zelltod führen.

» Im Alter gerät der Entrümpelungsapparat aus dem Gleichgewicht.«

Auch Zellen können zu voll oder zu leer sein. Sie bestehen aus Proteinen, die jeweils wichtige Funktionen erfüllen. Ubiquitin ist unter ihnen dafür zuständig, für Balance in der Zelle zu sorgen. Fehlerhafte, falsch gefaltete oder überzählige Proteine erhalten eine Ubiquitin-Markierung durch ein weiteres Protein, die Ubiquitinase – ähnlich, wie wir bei unserem Kleiderschrank Post-its eingesetzt haben. Diese mit Ubiquitin markierten Proteine werden danach über das Proteasom – den Altkleidercontainer – entsorgt. So wird innerhalb unserer Zellen ein ausgewogenes Gleichgewicht hergestellt, das für ihre Langlebigkeit wichtig ist. Man nennt diese Balance unter den Proteinen auch Proteostasis. Gibt es zu viele oder zu wenige Proteine, büßt die Zelle in ihrer Funktion ein. Sie kann unbeweglicher oder fragil werden und so beispielsweise ihre Form nicht mehr halten. Bei einer Muskelzelle wäre das fatal.

 

Ubiquitinase – Dieses Enzym steuert, welche Proteine innerhalb der Zelle mit Ubiquitin zur Entsorgung markiert werden. Diesen Markierungsvorgang nennt man Ubiquitinierung. Proteasom.

Proteasome, oder auch »Müllvernichter der Zelle«, bauen ubiquitinierte Proteine ab. Eigentlich sind sie eher eine Art Recyclinganlage: Proteine werden in kleinere Peptide und Aminosäuren zerlegt, um wiederum als Bausteine für neue Proteine zu dienen.


Proteinspiegel runter, Lebenserwartung rauf

»Wir wollten herausfinden, ob das Gleichgewicht in den Zellen durch einen Eingriff von außen wiederhergestellt werden kann – und ob sich das auf die Langlebigkeit der Zellen und somit den gesamten Organismus auswirkt«, sagt Dr. Seda Koyuncu aus dem Forschungsteam um Vilchez. Dazu untersuchten sie Fadenwürmer mit einem defekten Proteasom, um Proteine zu identifizieren, die mit dem Alter weniger markiert werden. Koyuncu: »Diese Proteine konnten vom defekten Proteasom nicht aufgeräumt werden und sammelten sich in der Folge übermäßig an.« Also übernahmen die Forscher:innen die Rolle von Ubiquitin und Ubiquitinase und verringerten experimentell die Anzahl der Proteine. Die Vermutung ging auf: »Die Verringerung des Proteinspiegels dieser nicht markierten Proteine reichte tatsächlich aus, um die Langlebigkeit zu verbessern«, fasst Koyuncu ihre Entdeckung zusammen.

Das CECAD Forschungszentrum. Insgesamt forschen hier und an den anderen Standorten des Exzellenzclusters für Alternsforschung über 650 Wissenschaftler:innen an alternsassoziierten Krankheiten. Zum Cluster gehören neben der Universität zu Köln die Uniklinik, die Max-Planck-Institute für Stoffwechselforschung und für Biologie des Alterns sowie das Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Das Team konzentrierte sich in den Folgeanalysen auf die zwei Proteine IFB-2 und EPS-8, bei denen sie im Vorfeld ausgemacht hatten, dass die Markierung durch Ubiquitin während des Alterungsprozesses von C. elegans fehlte. Erhöhte Proteinmengen von IFB-2 führen zum Beispiel dazu, dass der Darm nicht richtig verdaut, Nährstoffe nicht aufnehmen kann und zudem anfälliger für bakterielle Infektionen ist. Tatsächlich reichte es aus, die Menge von IFB-2 im erwachsenen Fadenwurm zu verringern, um wieder eine normale Darmfunktion zu erreichen. Beim Protein EPS-8, das sich in den Zellen beispielsweise auf Muskelfunktion und Beweglichkeit auswirkt, stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass zu viele dieser Proteine die Zelle starr macht. Die Verringerung von EPS-8 in der Zelle führte ebenso zu einer Verbesserung der Beweglichkeit.

»Wir haben eine neuartige Verbindung zwischen dem Altern und Veränderungen der Proteinzusammensetzungen in der Zelle hergestellt. Das Gleichgewicht der Zellen, das durch das Zusammenspiel aus Ubiquitinierung, Deubiquitinerung und Proteasom geregelt wird, beeinflusst die Langlebigkeit der Zellen und in der Folge die des ganzen Organismus«, sagt David Vilchez. Mit ihren Erkenntnissen konnten die Forscher:innen die Lebensdauer der Fadenwürmer, die in der Regel etwa 19 Tage überleben, um drei bis vier Tage verlängern. Also um fast ein Fünftel.

Das Ziel: den Alterungsprozess verzögern

Ein Dasein in Balance ist also das A und O für ein langes Leben – auch auf Zellebene. Dem gegenüber steht die sinnbildliche Verwahrlosung und der letztendliche Zelltod durch eine höhere Aktivität der Deubiquitinierung. Wie wichtig das Gleichgewicht der Proteine für den Alternsprozess ist, ist nun also bekannt. Auch in menschlichen Zellen sind die jeweiligen Proteine und Prozesse zu finden. Doch ob, und wenn ja wie, auch beim Menschen dieses Zusammenspiel gezielt beeinflusst werden kann, muss noch untersucht werden. Auch, um auf dieser Grundlage Therapien oder Medikamente entwickeln zu können.

Es liegt also noch viel Grundlagenforschung vor David Vilchez und seinem Team – und vor Forschungsgruppen weltweit. Die Wissenschaftler:innen am CECAD haben jedenfalls im Verlauf ihrer Arbeit einen umfassenden Datensatz über jegliche durch Ubiquitin markierten Proteine zusammengetragen. Dieser Datensatz bildet ein wichtiges Fundament für die weitere Forschung, da ist Vilchez sich sicher: »Unsere Erkenntnisse könnten in Zukunft neue Wege aufzeigen, um den Alterungsprozess zu verzögern, bestenfalls zu regulieren und so die Lebensqualität im Alter zu verbessern.«