Die Speise der Götter
Die Speise der Götter Der Kakao hat eine bewegte Geschichte. Was einst als Luxusgut mit Risiken und Nebenwirkungen galt, ist heute eine erschwingliche Nascherei für alle. Ein Team vom Institut für Altertumskunde hat sich reingekniet.
Von Eva Mika
Von der gehypten Dubai-Schokolade über die saisonalen Lebkuchen bis hin zum schnöden Kinderriegel: Das Angebot an Schokolade, ob in fester oder flüssiger Form, ist grenzenlos. Schokolade ist ein Konsumobjekt, das nicht mehr wegzudenken ist. Das war nicht immer so. Mitte des 16. Jahrhunderts kam die Schokolade – damals als Trink-Schokolade, Tafelschokolade gab es noch nicht – nach Europa. Für die meisten Zeitgenossen blieb sie dennoch unerreichbar.
Spanische Schiffe brachten sie von Guatemala und Mexiko zurück in die spanischen Häfen und Städte. In Europa angekommen, untersuchten Gelehrte und Mediziner sowie christliche Würdenträger die Schokolade auf ihre potentielle Wirkung und möglichen Eigenschaften. Denn die Schokolade, die aus der ›neuen Welt‹ kam, musste zunächst in das bestehende Werte- und Wissenschaftssystem integriert werden. Keine leichte Aufgabe für eine Gesellschaft, deren medizinische und religiöse Vorstellungen in der Antike wurzeln. Aber es gelang: Gelehrte untersuchten die vermeintlich heilenden (oder schädigenden) Eigenschaften der Schokolade, christliche Kardinäle überlegten, ob Adam den Kakaobaum direkt aus dem Paradies mitgebracht habe, und Autoren aus den verschiedensten Disziplinen verfassten Schriften in Prosa und Poesie über Schokolade. Ein neues Kulturgut trat seinen bis heute anhaltenden Siegeszug an.
Wie entwickelte sich also die Schokolade vom raren Kulturgut hin zum allgegenwärtigen Konsumobjekt? Unter anderem dieser Frage stellt sich die kulturgeschichtliche Ausstellung im Kölner Schokoladenmuseum, die gerade neu konzipiert wird – von den Anfängen, die aus der archäologischen Forschung bekannt sind, bis in die Gegenwart. Beginnend mit dem präkolumbischen Amerika, also vor der Unterwerfung durch die Europäer, über den ersten Kulturkontakt bis hin zur Industrialisierung werden sich die Besucher*innen auf einem Zeitstrahl bewegen und 5.000 Jahre Schokoladengeschichte entdecken. Die Eröffnung ist für den Sommer 2025 geplant.
Einen wichtigen Beitrag zu der neuen Ausstellung leistet die Latinistik des Instituts für Altertumskunde, die in einem gemeinsamen Projekt historische Quellen, die die Einführung der Schokolade in Europa dokumentieren, übersetzt, erschlossen und ausgewertet hat. Die klassische Latinistik forscht eigentlich zur Literatur und Kultur des antiken Mittelmeerraums, aber Latein ist auch Mitte des 16. Jahrhunderts, als die Schokolade nach Europa kam, noch eine Literatur- und Gelehrtensprache. Ihre Sprachkenntnisse statten die Wissenschaftler*innen des Instituts mit der besonderen Fähigkeit aus, die neuzeitlichen Quellen zu entschlüsseln.
Detektivarbeit in den Datenbanken
Die Zusammenarbeit entstand durch einen glücklichen Zufall: Der Förderverein des Instituts lud 2023 Professorin Claudia Schindler aus Hamburg ein, die sich schon seit einiger Zeit mit einem neulateinischen Gedicht von 1689 über die Schokoladenherstellung beschäftigt hatte. Die Wissenschaftler*innen suchten nach einem geeigneten Raum für einen Gastvortrag. Das Kölner Schokoladenmuseum im Rheinauhafen bot nicht nur diesen, sondern spontan auch eine Führung durch die Ausstellung sowie eine Schokoladenverkostung an.
Einen Vortrag und viele Gespräche später wurde die Kooperation zwischen dem Schokoladenmuseum und dem Institut für Altertumskunde konkret. Die Projektmitarbeiter*innen des Instituts, Professorin Dr. Anja Bettenworth, Professor Dr. Peter Schenk und Sven Johannes, boten an, zunächst den Grundstock lateinischer Texte, die dem Museum bereits vorlagen, zu übersetzen. Die Wissenschaftler*innen übersetzten bald aber nicht mehr nur, sondern suchten und fanden noch weitere, bis dahin unerschlossene Quellen zur Wahrnehmung von Schokolade vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Was schrieben die Wissenschaftler und Autoren in Europa in den nächsten zweihundert Jahren in lateinischer Sprache nieder?
Der mittellateinische Philologe Sven Johannes ist das Suchen nach Texten zwar gewohnt, aber diese Recherche in internationalen Bibliotheken und Datenbanken war auch für ihn nicht ganz einfach: »Viele frühneuzeitliche Drucke, also aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wurden mittlerweile digitalisiert und über das Internet frei zugänglich gemacht. Dennoch bleibt es knifflig, sie zu finden – schließlich ist ›Schokolade‹ kein antiker Begriff. Man muss durchaus eigenständig überlegen, wie die Schokolade und die sie behandelnden Werke auf lateinisch heißen könnten, um einen möglichst vollständigen bibliographischen Überblick zu gewinnen.« Es gibt zwar das lateinische Wort cocolates, aber auch viele Umschreibungen, wie ›ein süßes Getränk‹, oder ›mexikanischer Nektar‹, wobei der Nektar auf die antike Vorstellung der Speise der Götter anspielt.
»Das ist auch deswegen interessant, weil der wissenschaftliche, aus dem Griechischen abgeleitete Name des Kakaobaums Theobroma, also Speise der Götter, lautet«, ergänzt Anja Bettenworth. Selten hatten sie das Glück, ausführliche bibliographische Angaben zu finden. Meistens arbeiteten sie mit kurzen Hinweisen auf andere Autoren oder Schriften innerhalb der Quellen. »Während wir aus heutiger Perspektive oft vor Herausforderungen stehen, solche Hinweise aufzulösen, konnten die Autoren davon ausgehen, dass die gebildete Leserschaft ihrer Zeit genau wusste, worauf verwiesen wird«, sagt Sven Johannes.
Attentate auf Schokoladenbars
Einen besonderen Schatz fand das Team mit einem Epos über Hernán Cortés aus dem Jahr 1729. Der Autor Gianbattista Marieni beschreibt darin rückblickend einige Episoden aus der Eroberung des Aztekenreiches. Die Wissenschaftler*innen forschen alle drei zur Textgattung des Epos, also ein Gedicht in Hexametern, in unterschiedlichen Epochen. Das neugefundene Werk ist für die Forschenden in mehrfacher Hinsicht interessant. So war dessen Existenz zwar bekannt, das Werk aber nicht erschlossen – also weder übersetzt noch kommentiert. »Da sind wir jetzt dran. Das ist auch für uns eine Neuentdeckung, die fasziniert und uns in der Forschung voranbringt«, sagt Anja Bettenworth.
Ein Buch innerhalb des Epos handelt fast ausschließlich von Kakao und Schokolade. „Da wird zum Beispiel beschrieben, wie die Konquistadoren gesüßte Schokolade aus Porzellantassen trinken – was sie bei ihren ersten Begegnungen im Mexiko des 16. Jahrhunderts mit Sicherheit nicht getan haben. Marieni projiziert bei seinen Berichten über Cortés Gepflogenheiten aus seiner eigenen Zeit, dem 18. Jahrhundert, zurück«, ordnet Anja Bettenworth die Aussage ein. An einer anderen Stelle referiert ein indigener Sprecher in anachronistischer Weise die Geschichte und Bedeutung des Kakaos und welche negativen Einflüsse er auf die aztekische Gesellschaft gehabt habe: von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, weil es zu viel oder zu wenig Schokolade gab, bis hin zu Attentaten auf so genannte Schokoladenbars.
Vielleicht wurde die Schokolade also doch früher als gedacht zum Konsumobjekt? Die Entdeckungen der Wissenschaftler*innen sind für die Arbeit des Schokoladenmuseums aufschlussreich: »Das Institut für Altertumskunde hat wichtige und neue Puzzlestücke gefunden, die unser Bild von der Einführung der Schokolade in Europa vervollständigen und die wir nun in die kulturgeschichtliche Ausstellung einfließen lassen können«, sagt Olaf Vortmann, Leiter der Museumspädagogik. Unabhängig von der Ausstellung im Schokoladenmuseum bereiten die Teams eine gemeinsame Publikation für ein breiteres Publikum mit einer Auswahl lateinischer Texte in zweisprachiger Form (lateinisch-deutsch) inklusive Kommentar und Einleitung, sowie eine wissenschaftliche Edition mit der Erstübersetzung und -kommentierung des Cortesius-Epos des Gianbattista Marieni vor. Die Texte zu Kakao und Schokolade umfassen sowohl literarische als auch Sachtexte, diese unter anderem aus den Bereichen Theologie, Medizin und Biologie. Es gibt also immer noch viel zu entdecken über die einstige Speise der Götter, die uns nicht nur in der Winterzeit erfreut.