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Die Erde – der weiße Planet

Gletscher sind einst bis an den Äquator vorgedrungen

Eislandschaft Antaktis

Foto: sodar99/fotolia

Eine komplett vereiste Erde ist nicht nur Stoff für Endzeitfilme. Tatsächlich könnte unser Planet im Laufe seiner Geschichte mehrmals vollständig von einer Eisschicht bedeckt gewesen sein. Aus der Distanz hätte er dann wie ein riesiger Schneeball ausgesehen.

Lebensfeindlicher kann man sich unseren Planeten kaum vorstellen: In den Tropen ist es so kalt wie in der Antarktis. Wo sich heute Korallenriffe befinden, erstrecken sich hunderte Meter dicke Eispanzer über die Ozeane. Die Landschaft der Erde beschränkt sich auf eine gigantische Eiswüste. Eine Studie des Kölner Geologen Dr. Daniel Herwartz bestätigt nun genau dieses Szenario der Klimageschichte. Gletscher sind demnach mehrfach bis an den Äquator vorgedrungen. Herwartz hat dies anhand der Zusammensetzung von Sauerstoffisotopen tropischer und subtropischer Gletscher rekonstruiert. Dazu hat er Gesteine aus dem nordwestlichen Russland und China untersucht, die zu extremen Kältezeiten in der Nähe des Äquators lagen und dort mit Schmelzwässern von Gletschern interagiert haben müssen. „Die Isotope geben Aufschluss über die klimatischen Bedingungen einer vollkommen vereisten Erde“, sagt der Geologe, der die Studie an der Universität Göttingen geleitet hat und jetzt an der Universität zu Köln arbeitet. 
 

DREIMAL WAREN DIE WELTMEERE KOMPLETT ZUGEFROREN

Dass der blaue Planet nicht immer blau war, gilt in der Wissenschaft mittlerweile als unumstritten. Die Ursache hierfür liegt in dem sogenannte Albedo-Effekt: Wenn die Eiskappen an den Polen in Richtung Äquator vordringen, reflektieren sie mehr Sonnenlicht zurück in das Weltall. Dadurch kühlt die Erde ab und das Eis kann sich folglich noch weiter ausbreiten. Erreichen die Gletscher eine kritische Grenze, ist die Reflektion so stark, dass die Erde schließlich vollständig einfriert. Aus dem Weltall würde der Planet dann wie eine weiße Kugel aussehen, weshalb Wissenschaftler das Phänomen Schneeball-Erde nennen. Mindestens dreimal hat es auf der Erde so extreme Kältephasen gegeben: vor 2,4 Milliarden Jahren, vor 720 Millionen Jahren und vor 635 Millionen Jahren. Laut Klimamodellen lag die mittlere Jahrestemperatur am Äquator zu diesen Zeiten zwischen -20 und -50 Grad Celsius. Sollten die Modellrechnungen stimmen, wären die Ozeane damals also komplett zugefroren. 

EINE VEREISTE ERDE BEDEUTET NICHT DAS ENDE DES LEBENS

Unter einer kilometerdicken Eisschicht ist photosynthetisches Leben kaum möglich. Manchen Wissenschaftlern geht die Schneeball-Erde-Theorie deshalb zu weit. Stattdessen bevorzugen sie das Bild eines Slushballs, was so viel wie Schneematschball bedeutet. Demnach wäre die Erde zwar größtenteils zugefroren, ein Teil des tropischen Ozeans bliebe aber eisfrei. Daniel Herwartz glaubt nicht an diese Light-Version der Schneeball-Erde-Theorie: „Für mich ist dieses Argument nicht überzeugend, weil wir auch in der Arktis Mikroorganismen finden. Unsere Studie legt nahe, dass Organismen, die  Photosynthese betreiben, eine Komplettvereisung überlebt haben“, sagt der Geologe. „Nach dem Auftauen explodiert das Leben in den warmen und nährstoffreichen Ozeanen dann geradezu.“

Wenn Geologen etwas über das Klimageschichte rausfinden wollen, untersuchen sie dafür unter anderem den Regen vergangener Zeiten. „Die Zusammensetzung des Regenwassers liefert Informationen über die Temperatur“, erklärt Herwartz. „Wenn ich in Köln das Regenwasser messe, kenne ich die mittlere Jahrestemperatur.“ Meistens erhalten Wissenschaftler die benötigten Niederschlagswerte aus Eisbohrkernen. Solche zylindrischen Proben aus arktischem oder antarktischem Eis geben jedoch nur Auskunft über das Klima bis vor maximal einer Million Jahre. Somit reichen sie bei weitem nicht bis in die deutlich älteren Schneeball-Erde-Phasen zurück. 

Gletscher untersuchen, die heute nicht mehr existieren
 

Dem Geologen ist es allerdings gelungen, das Klima anhand von Gesteinen zu rekonstruieren, die vor vielen hundert Millionen Jahren mit dem Wasser agiert haben. Die untersuchten Steine aus Russland und China haben die Klimainformation des Gletscherwassers aufgenommen und wie eine ungeöffnete Zeitkapsel bis heute bewahrt. Die Rekonstruktion des Gletscherwassers gelang Herwartz und seinen Kollegen dank einer hochpräzisen Analyse des seltenen 17O Isotops. „Damit haben wir eine Methode gefunden, mit der wir das Wasser von Gletschern rekonstruieren können, die es heute nicht mehr gibt“, betont Herwartz. Auch in Köln führen Wissenschaftler die aufwendigen 17O Analysen durch. „Die häufigeren Isotope 16O und 18O werden schon seit den 50er Jahren routinemäßig in den Klimawissenschaften, der Biologie und in der Geologie angewendet,“ so Herwartz „Die neuen 17O Analysen geben uns zusätzliche Informationen und bieten ganz neuen Möglichkeiten.“ 

Die untersuchten Steinproben aus Russland lagen vor 2,4 Milliarden Jahren in ähnlichen Breiten wie Florida oder noch näher am Äquator. Sie überliefern Klimabedingungen, wie wir sie heute nur am kältesten Ort der Erde finden: in der Antarktis mit mittleren Jahrestemperaturen von -40 Grad Celsius. „Es scheint verrückt, sich Orte wie Florida bei -40 Grad mittlerer Jahrestemperatur vorzustellen, aber die Daten sprechen für solch extreme Klimabedingungen in niederen Breiten“, sagt Herwartz.  Die 700 Millionen Jahre alten Gesteine aus China deuten dagegen auf Klimabedingungen hin, wie sie heute im Süden Grönlands herrschen – also wesentlich wärmer als die Proben aus Russland. 
 

FRIERT DIE ERDE WIEDER ZU?

Geologen gehen davon aus, dass die Erde jeweils für mehrere zehn Millionen Jahre vereist war. Wenn die Erde erstmal unter einer Eisdecke liegt, taut sie nur durch einen sehr starken Treibhauseffekt – etwa als Folge von Vulkanausbrüchen  – wieder auf. Auf einer vereisten Erde gibt es weder Photosynthese noch chemische Verwitterungsprozesse. Somit gibt es nichts, was den Anstieg des Treibhausgases CO2 stoppen könnte. Sobald dann der erste Ozean wieder eisfrei ist, sinkt der Albedo-Effekt und die Erde taut extrem schnell komplett auf.
 

Im Laufe ihrer Milliarden Jahre langen Geschichte waren es doch nur kleinste Episoden, in denen die Erde von einer Eisschicht überzogen war. Zudem waren es immer Phasen, zu denen ein Superkontinent in Äquatornähe existierte. Herwartz hält die Gefahr, dass sich die die Menschheit auf ein Leben auf einem Eisplaneten einstellen muss, daher für äußerst gering und gibt Entwarnung: „Zum einen stoßen wir Menschen momentan viel CO2 in die Atmosphäre und außerdem ist die Sonne heute deutlich stärker als zum Zeitpunkt der Schneeball-Erde-Phasen. „Auf lange Sicht ist so ein Szenario trotzdem nie ganz auszuschließen.“