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Auf gute Nachbarschaft

Ein Kölner Forscherteeam untersucht die Haltung deutscher Bürger zu Flüchtlingen

Beim Thema Flucht und Migration ist die öffentliche Debatte oft stark polarisiert zwischen Willkommenskultur und strikter Ablehnung. Ein Kölner Forschungsteam untersucht seit 2016, wie die Bevölkerung in Deutschland Flüchtlingen gegenüber steht. Die Ergebnisse sind differenzierter, als es manche Diskussionen vermuten lassen.

Eines der überraschenden Ergebnisse der Kölner Flüchtlingsstudie ist, dass es »eben nicht gleichgültig ist, wie und in welchen Wohngebieten man Flüchtlinge unterbringt«, sagt Jürgen Friedrichs. Er ist Professor am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie und leitet die Kölner Flüchtlingsstudien.

Ostheim beispielsweise liegt im Kölner Bezirk Kalk. Der Ruf des Stadtteils ist nicht der Beste. Die Arbeitslosenquote ist hoch, Polizei und Ordnungsamt zeigen verstärkt Präsenz, besonders die Hochhaussiedlung in der Gernsheimer Straße ist berüchtigt für Jugendkriminalität und Drogenhandel. Im krassen Gegensatz dazu steht Hamburg- Harvestehude, ein Viertel der Gebildeten und Besserverdienenden. Hier bleibt man in der Regel unter seinesgleichen. Zumindest bis zum Herbst 2015. Damals erreichte die »Flüchtlingskrise« ihren Höhepunkt und viele Menschen mussten zügig untergebracht werden. In beiden Vierteln, dem sozialen Brennpunkt in Köln auf der einen und dem Hamburger Nobelviertel auf der anderen Seite, sollten Flüchtlingsunterkünfte entstehen. »Zu diesem Zeitpunkt habe ich gedacht: Das müssen wir untersuchen!« sagt Friedrichs. »Ich habe mich dann direkt um eine Studienförderung bemüht und sehr schnell eine Zusage bekommen. Das zeigt, wie brisant das Thema war.«

Drei deutsche Modellstädte

In den Kölner Flüchtlingsstudien untersucht Friedrichs gemeinsam mit Vera Schwarzenberg und Felix Leßke die Einstellung in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen in drei Städten: Köln, Hamburg und Mülheim an der Ruhr. Darüber hinaus führen sie Interviews mit Experten aus den Stadtverwaltungen und der Flüchtlingshilfe, sowie mit Flüchtlingen selbst. Für die Anwohnerbefragung hat die Forschungsgruppe in jeweils zwei Wohngebieten der Städte mit einer Flüchtlingsunterkunft rund 2.200 Anwohner befragt: Ostheim und Rondorf in Köln, in Harvestehude und Bergedorf in Hamburg und Mitte und Saarn in Mülheim an der Ruhr. »Wir hatten Adressen in einem Radius von 2,5 km um die Flüchtlingsunterkünfte «, sagt Felix Leßke. »Die erste Befragung fand 2016 in persönlichen Interviews statt, die Studierende vor Ort durchführten. Insgesamt hatten wir bestimmt über 100 Helferinnen und Helfer.« Im zweiten Durchgang im Frühjahr 2018 nutzte das Team schriftliche Fragebögen. Da die Befragung in mehreren Wellen stattfand, können sich die Forscherinnen und Forscher einen Überblick über den Verlauf der Einstellungen verschaffen. Wie werden Flüchtlinge in der eignen Nachbarschaft wahrgenommen? Und würden die Leute mit der Zeit ihre Meinung ändern? Die Ergebnisse waren überraschend.

Auf die Frage »Was denken Sie heute über Flüchtlinge?« zeigte die erste Welle, dass die meisten Menschen sehr positiv eingestellt waren. So empfanden 47,3 Prozent der Befragten Mitgefühl für Flüchtlinge in Deutschland, 26,5 Prozent sahen Flüchtlinge positiv. Nur 5,1 Prozent gaben an, dass sie Flüchtlingen negativ gegenüberstünden. Allerdings merkten 10 Prozent an, dass ihrer Meinung nach zu viele Flüchtlinge aufgenommen wurden. 12,1 Prozent forderten eine Zuzugskontrolle. »Das besondere und gleichzeitig auch schwierige an der Studie war, dass wir mit geschlossenen und offenen Fragen gearbeitet haben. Die Befragten konnten also teilweise ohne Vorgaben antworten und ihre Meinung frei formulieren«, sagt Vera Schwarzenberg. Das Team musste daher viel Arbeit investieren, um die Antworten zu kategorisieren und auswerten zu können.

Flüchtlinge – ja, aber auch vor der eigenen Haustür?

Im Verlauf der Auswertung mussten die Soziologen und Soziologinnen ihre ursprüngliche Hypothese überdenken: »Wir nahmen zunächst an, dass man zwar Flüchtlingen gegenüber generell positiv eingestellt sein könnte, vor der eigenen Haustür aber dennoch keine Flüchtlingsunterkunft akzeptieren würde. Das trifft aber nicht zu«, sagt Friedrichs. Insgesamt lehnten nur sechs Prozent die Unterkunft in unmittelbarer Nachbarschaft ab, während sich 72 Prozent positiv und offen zeigten. In der zweiten Welle waren diese Tendenzen sogar noch stärker ausgeprägt. Insgesamt lag hier die Quote für positive Antworten bei 94,9 Prozent. »Dies spricht dafür, dass sich die ohnehin große Akzeptanz der Flüchtlingsunterkünfte im Wohngebiet nach dem Einzug der Flüchtlinge im Laufe der Zeit durch Gewöhnungseffekte und positive Erfahrungen verstärkt hat – oder Befürchtungen nicht eingetreten sind«, so Friedrichs.

Dennoch haben sich die Meinungen im Verlauf der Zeit polarisiert. »Es ist gut möglich, dass die Medienberichterstattung einen Einfluss hat. Das ganze Thema bestimmt ja die Schlagzeilen und wird in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert«, sagt Vera Schwarzenberg. So hat das Team etwa gefragt, ob es den Befragten Angst mache, dass viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dieser Aussage stimmten in der ersten Befragungswelle 26,9 Prozent der Befragten zu, 62 Prozent lehnten sie ab und elf Prozent antworteten mit »weder noch«. In der zweiten Befragungswelle hingegen gingen die Meinungen weiter auseinander. Zwar lehnten weiterhin knapp 60 Prozent die Aussage ab. Mittlerweile gaben aber beinahe 40 Prozent der Befragten an, dass es ihnen Angst mache, dass so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Auf das Viertel kommt es an

Auch zwischen den Wohngebieten bestehen deutliche Unterschiede. »Das besondere an unserer Studie ist, dass wir ziemlich genau differenzieren können, zeitlich und auch örtlich«, so Felix Leßke. »Die positiven Einstellungen sind etwa in den Wohngebieten mit einem hohen sozialen Status besonders hoch.« In Hamburg-Harvestehude äußerten sich 84 Prozent der Befragten positiv über die Unterkunft. Mülheim-Mitte und Köln-Ostheim hingegen, die beiden weniger wohlhabenden Gebiete in der Umfrage, kamen auf 62 Prozent und 67 Prozent. Allerdings sagten die Bewohner von Mülheim- Mitte besonders häufig, dass es sich um eine gute Art der Unterbringung handle. Denn dies ist das einzige innenstädtische Wohngebiet, in dem die Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht sind, statt in Hallen, Containern oder Systembauten.

Auch zeigte sich, dass die Kölner Silvesternacht 2015 einen Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung hatte. Auf die Frage, ob die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof die Einstellung zu Flüchtlingen verändert haben, antworteten 32,1 Prozent mit »Ja«, weitere 8,8 Prozent mit »vorübergehend«. Die Studienergebnisse sind deutlich und können auch als Empfehlung für die Politik dienen. Wohngebiete wie das wohlhabende Harvestehude sind besonders gut geeignet für eine Flüchtlingsunterkunft. »Hier haben anfangs zwar noch Anwohnerinnen und Anwohner gegen die Flüchtlingsunterkunft Klage eingereicht. Allerdings waren dies nur drei Personen. Ansonsten war auch dort die Zustimmung und das ehrenamtliche Engagement sehr hoch«, so Friedrichs.

In einem Wohngebiet wie Köln-Ostheim hingegen gab es zwar weniger öffentliche Proteste, dafür ist die Ablehnung gegenüber Flüchtlingen aber allgemein höher. Gebiete mit vergleichsweise niedrigem Bildungsniveau und einem hohen Anteil an Personen mit niedrigen Einkommen sind daher weniger geeignet. »Das zeigt aber auch, dass es sinnvoller ist, kleine Flüchtlingsunterkünfte in Mittel- und Oberschichtgebieten zu errichten anstatt in benachteiligten Wohngebieten. Ankerzentren sind das Gegenteil davon. Es ist eben nicht gleichgültig, wie und wo man Flüchtlinge unterbringt«, so Friedrichs.