Mit der Gründung der neuen Kölner Universität wurden auch erstmals Frauen zum Studium zugelassen. Weite Teile der akademischen Welt sahen das damals kritisch. Über den Anfang einer bewegten Geschichte – und wo wir heute stehen.
Mit der Matrikelnummer 2 schrieb sich am 11. April 1919 eine junge Frau namens Jenny Gusyk in das riesige braune Matrikelbuch der Universität zu Köln ein.
Im Gründungsjahr der neuen Universität war sie die erste von 194 Frauen unter den insgesamt 1.299 Studenten und Studentinnen der ersten Stunde. Nach nur sieben Semestern schloss Gusyk im Jahr 1922 ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Auszeichnung ab – jetzt als einzige Frau unter 51 Absolventen. Das Thema ihrer geplanten Dissertation lehnte der Gründungsrektor der Universität, Professor Christian Eckart, allerdings als »zu kommunistisch durchdrungen« ab. Damit endete die akademische Laufbahn Jenny Gusyks. Sie wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Jenny Gusyk — Heute erinnert die Uni Köln mit den Jenny Gusyk Preisen der Gleichstellungsbeauftragten für Nach- wuchs, Innovation und familienfreundliche Führung an ihre erste Studentin.
Die Vorbehalte waren groß
Die ersten Studentinnen und Dozentinnen an deutschen Universitäten stießen weitgehend auf Ablehnung. Theodor von Bischoff, ein international anerkannter Anatom und Physiologe des späten neunzehnten Jahrhunderts, sprach Frauen nicht nur die geistige, sondern auch die körperliche und psychologische Eignung für eine Hochschulbildung ab: »Es fehlt dem weiblichen Geschlecht nach göttlicher und natürlicher Anordnung die Befähigung zur Pflege und Ausübung der Wissenschaften und vor allem der Naturwissenschaften und der Medizin«, schrieb er 1872. Und der Mediziner Paul Julius Möbius äußerte 1903 die Vermutung, dass eine übermäßige Beanspruchung des Gehirns bei Frauen zu Unfruchtbarkeit und damit zur Schädigung der nachkommenden Generationen führe. Einzelne Gegner des Frauenstudiums zogen derartige Argumente noch bis in die 1950er Jahre ins Feld.
Universität – Bollwerk der Männer
Auch Hochschullehrerinnen waren in Deutschland lange Einzelerscheinungen und allein auf weiter Flur – ein Umstand, der noch viele Jahre anhielt. Bis 1934 hatten 400 Frauen promoviert. Die erste Kölner Doktora war Elisabeth Perscheid aus der Medizinischen Fakultät und als erste Frau habilitierte sich Ermentrude von Ranke in der Philosophischen Fakultät. 1950 wurde die Biologin Dr. Cornelia Harte als erste Professorin an die Universität zu Köln berufen.
Cornelia Harte — Die führende Zellforscherin setzte sich in Köln neben ihrer Tätigkeit in Forschung und Lehre auch für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft ein, war stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Akademikerinnenbundes und stiftete Nachwuchspreise für junge Forscherinnen aus ihrem Fachgebiet. Heute sind die Mentoring-Programme für Studentinnen und Wissenschaftlerinnen aller Fakultäten der Uni Köln nach Cornelia Harte benannt.
1951 waren immerhin schon 5.441 Studentinnen immatrikuliert, allerdings betrug der Professorinnenanteil selbst 1995 immer noch magere 6,2 Prozent. In einer Studie des Sozialpsychologen Hans Anger von 1960 äußerten sich noch 64 Prozent der befragten Professoren negativ zum Frauenstudium, und 79 Prozent lehnten Dozentinnen ab.
Erst seit 1980, als erstmals Zahlen über den Anteil von Frauen an Universitäten in Nordrhein-Westfalen erhoben wurden, fingen die Hochschulen an, etwas gegen die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft zu unternehmen. Ein wichtiger Meilenstein dieser Entwicklung ist die Einrichtung von Frauenbeauftragten in der öffentlichen Verwaltung. Nordrhein-Westfalen verabschiedete 1989 das »Frauenförderungsgesetz«. Die Uni Köln richtete das Amt der Frauenbeauftragten am 8. Mai 1991 ein. Die Hauptaufgabe der Gleichstellungsbeauftragen, wie sie heute heißt, ist es sicherzustellen, dass das Landesgleichstellungsgesetz beachtet wird und die Hochschule aktiv auf die Umsetzung von Chancengerechtigkeit hinwirkt.
Annelene Gäckle ist seit 2012 die zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität. Sie kritisiert, dass Frauen insbesondere bei den Professuren noch unterrepräsentiert sind.
Gleichstellungsbeauftragte — Im Rahmen des Jubiläumsjahres organisiert die Gleichstellungsbeauftragte gemeinsam mit dem Gateway Gründungsservice am 11. April die Veranstaltung »Frauen starten durch! 100 Jahre Frauenstudium an der Universität zu Köln«. Hier stellt Professorin Dr. Ute Planert den von ihr herausgegebenen Sammelband »Alberts Töchter. Kölner Frauen zwischen Universität, Stadt und Republik« vor.
Dem Gender-Datenreport der Universität von 2017 zufolge sind die Absolventinnen mit 63 Prozent und Promovendinnen mit 53 Prozent noch in der Mehrheit. Doch obwohl die Zahlen seit Cornelia Harte deutlich gestiegen sind, sind dennoch nur 25 Prozent der W2- und W3-Professuren mit Frauen besetzt – und dieser Anteil stagniert seit drei Jahren. Gleichstellung ist kein Selbstläufer, das zeigen die Zahlen deutlich.
Diskriminierung hat viele Gesichter
Neben der strukturellen Diskriminierung in einzelnen Bereichen und dem Problem der »leaky pipeline«, dem Ausscheiden von Frauen an entscheidenden Qualifizierungsund Karrierestufen, sieht Gäckle heute die unbewusste Voreingenommenheit – oder »unconsciuous bias« – als größtes Gleichstellungshindernis an. Die meisten Menschen bevorzugen unbewusst andere Menschen, die ihnen selbst ähnlich sind. Daher berufen manche männliche Professoren eher den Kandidaten, in dem sie eine jüngere Version von sich selbst sehen. »Die Frau passt dann nicht in das klassische ›Buddy‹- Raster«, sagt Gäckle. In Berufungsverfahren weist die Gleichstellungsbeauftragte dann darauf hin, dass die Bewerberin beispielsweise erfolgreich Drittmittel eingeworben und bereits hochkarätige wissenschaftliche Projekte geleitet hat und damit höchstes Potenzial aufweist. Dennoch fällt die Entscheidung oft für den männlichen Bewerber aus, da einer gleich gut qualifizierten Frau letztlich nicht das gleiche Leistungs- oder Durchsetzungsvermögen zugetraut wird. Der »unconscious bias« trifft aber nicht nur Frauen, sondern auch ältere Bewerber und Menschen mit Behinderung oder anderer Hautfarbe.
Dennoch gibt es immense Entwicklungen: Das Hochschulgesetz gibt eine Frauenquote für Gremien und eine »qualifizierte Neuberufungsquote « vor. Viele Drittmittelgeber fordern Berichte zum Stand der Gleichstellung als Bedingungen für die Förderung eines Projekts. Die Hochschulen legen also regelmäßig Rechenschaft ab. Die Uni Köln hat darüber hinaus das Leitbild »Vielfalt und Chancengerechtigkeit« formuliert und trifft regelmäßig Zielvereinbarungen mit den Fakultäten für diesen Bereich. »Da sind wir durchaus weiter als viele andere Hochschulen «, sagt Gäckle. »Ich habe heute nicht mehr das Gefühl, dass ich wie die Feministinnen früherer Jahrzehnte um jede Kleinigkeit kämpfen muss. Bei uns ist der Umgang sehr sachlich, wertschätzend und unterstützend – und ich habe unglaublich viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter.«
Die »Bewerbungscouch« gibt es immer noch
Neben Fragen der Gleichstellung gehört auch Beratung bei sexueller Diskriminierung zu Gäckles Aufgaben. Sie ist überzeugt, dass die #MeToo-Debatte in den USA und weltweit einen wichtigen Stein ins Rollen gebracht hat, ein Ende der Aufklärung aber noch nicht in Sicht ist. Als Orte, an denen individuelle Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse im System stecken, sind auch die Universitäten nicht gefeit vor sexualisierter Diskriminierung. »Besonders in kleinen wissenschaftlichen Bereichen, in denen die Stellen begrenzt sind, gibt es leider in Einzelfällen noch das Problem der ›Bewerbungscouch‹«, so Gäckle. Als Gegenleistung für die Karriereförderung fordern Lehrstuhlinhaber und -inhaberinnen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sexuelle Dienste. Oder bei einem gemeinsamen Konferenzbesuch stellt die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter fest, dass nur ein Doppelzimmer gebucht wurde. »In manchen Fällen können wir nur beraten und mahnen, wenn Aussage gegen Aussage steht. Doch in Fällen, in denen tatsächlich belegbar Fehlverhalten oder gar eine Straftat vorliegt, reagiert die Universität mit aller Härte.« Zum Glück gehören solche Vorfälle nicht zur Regel.
Frauen stehen nicht mehr exklusiv im Vordergrund
Zunehmend Sorge bereitet Gäckle ein gesellschaftliches Klima, in dem heute wieder Äußerungen salonfähig sind, die vor einigen Jahren noch als inakzeptabel galten. In den USA, Brasilien und auf den Philippinen sind Präsidenten an die Macht gekommen, die offen Übergriffe gegen Frauen relativieren oder sogar gutheißen. Auch in Deutschland hat das Erstarken des Rechtspopulismus dazu geführt, dass viele Errungenschaften der Gleichstellung wieder grundsätzlich infrage gestellt werden. »In diesen Kreisen herrscht die Meinung vor, Frauen hätten schon viel zu viele Rechte und müssten wieder in ihre Schranken gewiesen werden«, so Gäckle. Einmal bekam sie sogar ein anonymes Paket. »Zum Glück enthielt es nur ein fundamental-christliches Buch und begleitende Parolen, die mich dazu bekehren sollten, von meinem sinnlosen, schändlichen und Steuergelder verschwendenden Tun abzulassen.«
Durch die weitreichenden Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte stehen Frauen heute nicht mehr exklusiv im Vordergrund der Gleichstellungsbemühungen, darüber ist Gäckle sehr froh. Heute setzt sie sich für diverse Gruppen von Menschen ein, die mit Benachteiligung, Diskriminierung und Übergriffen zu kämpfen haben – und dazu gehören nicht zuletzt auch Männer. Einmal kam ein verzweifelter Professor zu ihr, der von einer Studentin sexualisiert gestalkt wurde. Ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, war für Gäckle selbstverständlich. »Es macht mich stolz, dass heute so unterschiedliche Personen meine Beratung in Anspruch nehmen. Aber am besten wäre es natürlich, mein Amt würde irgendwann überflüssig.«
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