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Kölner Expert*innen zur Fußball-WM in Katar

Fußball-WM und Sportrecht: Die FIFA braucht ein internationales Aufsichtsgremium

Von Professor Dr. Jan. F. Orth LL.M, Jurist und Geschäftsführer der Forschungsstelle Sportrecht der Univeristät zu Köln

Foto: Holger Augustyniak

Die FIFA „bekennt“ sich in Art. 3 ihrer Satzung („Statuten“) „zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein“. Vor diesem Hintergrund überraschen die getroffenen Vergabeentscheidungen etwa nach Russland und Katar. Es ist aber zu relativieren: Zum einen ist das menschenrechtliche Selbstbekenntnis vergleichsweise neu und zum anderen die Vergabe durch das mit Funktionären besetzte FIFA-Exekutivkomitee (bis 2016, seitdem ist nach Art. 69 Statuten der FIFA-Kongress zuständig) eine sportpolitische Entscheidung. Von diesen Entscheidungen wissen wir nach entwaffnender Ehrlichkeit in diesem Jahr in Interviewäußerungen des ehemaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter und der Mitglieder der damaligen DFB-Spitze, die in die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland involviert war, dass hierbei unlautere Absprachen und Korruption eine beachtliche Rolle spielen. Selbst wenn also die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards im Gastgeberland nicht nur förmlich, sondern materiell belastbar und mit entsprechendem Stellenwert Gegenstand der WM-Ausschreibung wäre, bliebe die Beurteilung stets dem Ermessen der zuständigen FIFA-Organe ausgeliefert.

Gleichwohl sind zukünftige vergleichbare Vergabeentscheidungen nicht zu erwarten: Die Sensibilität für die Einhaltung von Menschrechtsfragen hat in der westlichen und insbesondere europäischen Gesellschaft – sehr begrüßenswert – einen neuen Höhepunkt erreicht. Zwar ist die FIFA so mächtig, dass die öffentliche Meinung derzeit noch keinen hinreichenden Druck aufbauen kann. Allerdings sehen die sehr potenten und westlichen Werten verpflichteten FIFA-Hauptsponsoren die FIFA-Menschenrechtspolitik immer kritischer. Die Entziehung ihrer hohen finanziellen Zuwendungen wäre eine Sprache, die die FIFA versteht.

Insgesamt erscheint ein vollständiger WM-Boykott regelmäßig nicht zielführend, weil die aufgeworfenen Fragen dann die katarische Führung und Gesellschaft noch weniger erreicht hätten. Außerdem sind immerhin – wenn auch bescheidene – Fortschritte und Zugeständnisse erreicht worden. Ein Spieler könnte übrigens, unter Beachtung einiger Zeitfenster, die WM durchaus „boykottieren“. Niemand kann gegen sein Gewissen gezwungen werden, in einem solchen Land Fußball zu spielen. Ein Spieler, der dies nicht möchte, kann auch nicht wirksam sanktioniert werden. Allerdings muss er solche Umstände rechtzeitig geltend machen. Geht durch eine zu kurzfristige Gewissensbetätigung ein Teilnehmerplatz aufgrund der Meldefristen verloren, darf der Verband das durchaus ahnden, etwa durch einen Ausschluss aus der Nationalmannschaft oder einer Sperre für internationale Spiele.

Diese Frage bleibt aber eher eine theoretische: Im Rahmen der Debatte um die „One Love Binde“ hat die deutsche Nationalmannschaft sehr deutlich gemacht, dass das Turnier für die Spieler ein sportlicher Lebenshöhepunkt ist, auf den man kaum verzichten wollte.

Hierzu ist aus sportrechtlicher Sicht zu sagen, dass die Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit (auch ein Menschenrecht!) aller Akteure einer WM während der eigentlichen Sportausübung (politische und persönliche Botschaften auf Trikots, Shirts, Binden, Kleidung, Haaren usw.) durchaus Sinn macht, weil der Sport als Leistungsdarbietung dann nicht durch kontroverse oder Überhand nehmende Mitteilungen gestört, verwässert oder überlagert werden kann. Diese Beschränkung ist also sinnvoll und rechtlich zu rechtfertigen. Das Problem ist, dass die FIFA auch Mitteilungen beschränken will, die Werbung für universelle Werte macht. Je universeller und anerkannter diese Werte sind und soweit die FIFA sich für diese selber stark machen will, wird eine rechtlich glaubhafte und damit haltbare Begründung dieser Beschränkung immer schwieriger.

Das Hauptproblem ist, dass eine ausreichende rechtliche Kontrolle der FIFA nicht gewährleistet ist. Ein internationales Aufsichtsgremium über die übermächtige NGO, die sich überwiegend im Rahmen selbst gesetzten Rechts, den geringen Grenzen der lex sportiva und der Rechtsprechung des Sportschiedsgerichtshofs CAS bewegt, gibt es nicht. Die Rechtskontrolle durch die Verwaltung und Justiz des FIFA-Sitzstaates Schweiz haben sich als zu großzügig und nicht hinreichend herausgestellt. Die Überprüfbarkeit von FIFA-Recht und FIFA-Entscheidungen durch nationale Gerichte ist stark eingeschränkt. Hier sind neue Ansatzpunkte erforderlich, die noch nicht vollständig durchdacht sind. Offen ist etwa die Rolle des Völkerrechts: Welche Subjektsqualität haben derart mächtige staatsgleich agierende Verbände und wie kann man sie einhegen? Denkbar erscheint auch diplomatischer Druck auf die Schweiz, soweit das FIFA-Verhalten auch auf internationaler politischer Ebene als inakzeptabel empfunden wird. Das ist nicht abwegig: Schließlich ist die FIFA so mächtig, dass sie bei jedem WM-Gastgeberstaat eine Anpassung der nationalen Steuergesetzgebung (insbesondere bei den Ertragssteuern) an ihre Bedürfnisse erreicht. Bei dieser Marktmacht wird auch der EU-Kommission als EU-Kartellbehörde bei der Durchsetzung der Verbote nach Art. 101 ff. AEUV zur Kontrolle der FIFA eine zentrale Position einzunehmen haben.

Was ist der „richtige“ Umgang mit der Fußballweltmeisterschaft in Katar?

Von Professorin Dr. Angelika Nußberger, Juristin und Direktorin der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz

Die Begeisterung für den Sport verbindet Menschen weltweit. Sportereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Fußballweltmeisterschaft sind Publikumsmagneten. Für eine kurze Zeit steht der jeweilige Austragungsort der sportlichen Wettkämpfe im Fokus des Interesses der Weltöffentlichkeit.  Damit ist immer auch Werbung und positives Marketing verbunden. Wie aber, wenn das Gastgeberland für schwere Menschenrechtsverletzungen bekannt ist? Lässt sich dann Freude am sportlichen Ereignis und Kritik an der Menschenrechtslage miteinander verbinden? Oder sollte es verboten werden, sportliche Turniere an Orten zu veranstalten, die wegen der Missachtung der Menschenrechte in der Kritik stehen? Bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar bestimmen diese Fragen die Berichterstattung, insbesondere nachdem die FIFA das Tragen der One-Love-Armbinde untersagt hat.

Wer urteilen will, muss sich ein objektives Bild von der Lage verschaffen. Aus internationaler Warte berichten über Menschenrechtsverletzungen einerseits Nicht-Regierungsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, andererseits aber auch Sachverständigenkomitees internationaler Organisationen, dies allerdings nur, wenn der Staat die entsprechenden internationalen Verträge ratifiziert hat. Für Katar liegt eine aus dem Jahr 2022 stammende Stellungnahme des UN-Menschenrechtskomitees vor, die ein vergleichsweise verlässliches Bild der Situation zeichnet.

Bemerkenswert ist, dass Katar im Jahr 2018 den wichtigsten internationalen Vertrag zum Schutz der Menschenrechte, den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte, ratifiziert hat – acht Jahre, nachdem in Zürich die Entscheidung für die Austragung der Fußballweltmeisterschaft in Katar gefallen war. Nachdem sich Katar mehr als ein halbes Jahrhundert diesem weltweit in 173 Staaten geltenden Vertragswerk verweigert hatte, ist die Ratifikation als positive Folge der auf das Emirat gerichteten Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft zu sehen. Damit ist Katar in einen offiziellen Dialog über Menschenrechte eingetreten und hat den UN-Pakt als Maßstab anerkannt; Ausflüchte, Menschenrechte passten nicht zur Kultur, greifen so nicht mehr. Das UN-Menschenrechtskomitee kann in seinem ersten Bericht auch Positives feststellen – etwa die Änderung der Arbeitsgesetzgebung und die Verabschiedung des ersten Asylgesetzes in der Golfregion.

Nichtsdestoweniger wird die harsche Kritik der NGOs sowie der ausländischen Beobachter im Bericht des UN-Komitees vollumfänglich bestätigt. So ist zu beklagen, dass homosexuelle Handlungen de lege lata strafbar sind. Nach Einschätzung des Komitees wirken patriarchalische Stereotype zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau fort. Abtreibungen sind nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen zum Schutz der Gesundheit erlaubt; diese Ausnahmen sind allerdings auf unverheiratete Frauen nicht anwendbar. Die Lage der Wanderarbeitnehmer bleibt problematisch. Auch wenn es legislative Maßnahmen gegen die Beschlagnahme von Pässen, die Zurückhaltung der Löhne und gegen Verhaftungen und Deportationen bei unerlaubtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz gibt, scheinen sie in der Praxis nicht zu wirken. Dies gilt auch für die Absicherung gegen – oftmals tödliche – Arbeitsunfälle. Die im Gesetz versprochene Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen die Arbeitgeber und die Zahlung von Entschädigungsleistungen für die Hinterbliebenen lässt sich in der Praxis nicht nachweisen. Auch das staatliche Vorgehen gegen Menschenhandel und Gewalt gegen Frauen ist nach Einschätzung des UN-Komitees nicht ausreichend. Die Todesstrafe gilt nicht nur bei schwersten Verbrechen und wird seit 2020 auch wieder vollstreckt.

Wie gilt es auf eine derartige Situation zu reagieren? Mit Blick auf die Ratifikation des UN-Pakts und die durch internationalen Druck bewirkte Verabschiedung einzelner Reformgesetze erweist es sich nicht als zielführend, Länder wie Katar als Austragungsort von sportlichen Großveranstaltungen von vornherein auszuschließen. Dann wären auch jene kleinen Fortschritte ausgeblieben. Auch wäre eine derartige Abwehrhaltung inkonsequent, wenn man daran denkt, dass die letzte Fußballweltmeisterschaft in Russland stattgefunden hat und auch dort damals schon einschneidende Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilgesellschaft zu beobachten waren. Vielmehr sollte man das mediale Interesse nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und damit auf Verbesserung hinzuwirken. Dies kann allerdings dann nicht mehr gelten, wenn sich ein Staat, wie Russland mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, wie ein Paria verhalten und von der internationalen Rechtsgemeinschaft isoliert hat. Dann, aber auch nur dann sollten auch für den Sport die Türen geschlossen bleiben.