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Alles digital

Erfahrungen mit dem Onlinesemester

Der Dozent an der Kölner Universität, Hai Linh Le, sitzt durch die Corona-Pandemie in Vietnam fest. Dank digitaler Lehre fand sein Kurs trotzdem statt.

Aufzeichnung einer Vorlesung

Mehr Eigenverantwortung, mehr Freiheit, aber auch etwas mehr Einsamkeit gehören jetzt dazu: Im Onlinesemester verändert das Studium seine soziale DNA. Nehmen Lehrinhalte »on demand« die Seminarteilnehmer besser mit oder fühlen sich die Studierenden eher abgehängt? Ein erstes Stimmungsbild vom Kölner Campus.


Das gab es noch nie in der hundertjährigen Geschichte der Universität zu Köln: Studierende können Scheine sammeln, ohne dafür zur Uni fahren zu müssen. Den Ausführungen der Dozentinnen und Dozenten zuhören, Referate vortragen oder Analysen schreiben – was zum guten Studieren dazu gehört, erledigt man in diesem Semester am WG-Küchentisch, mit Power Bank am Aachener Weiher oder von der Terrasse des Elternhauses aus. Das Onlinesemester macht ein ortsunabhängiges Studium möglich – und stellt damit die soziale Komponente der Studienzeit völlig auf den Kopf.

Zum Beispiel für Erstsemester: Wer im Sommersemester 2020 an der Kölner Universität das Studium aufgenommen hat, musste auf Rituale wie AStA-Erstibeutel, Kleiderkette auf dem Grüngürtel und Kneipenrallye im Belgischen Viertel verzichten. Nur der Bau der Fahrradgarage hat an diesem ersten Tag im Semester Leben auf den Albertus-Magnus- Platz gebracht, der sonst Festivalatmosphäre versprüht. Das war für die »Erstis« natürlich schade, ist aber leider durch die Corona-Pandemie im Moment unabdingbar.

Erstis – Die Erstsemesterbegrüßung musste im Sommersemester 2020 auch online stattfinden. Unter dem Motto Studienstart#digital stand Prorektorin Busse allen interessierten Studienanfängerinnen und -anfängern in einer Frage & Antwort-Sitzung zur Verfügung.

 

Neuland für Studierende und Lehrende

Das von der Hochschulleitung ausgerufene Onlinesemester soll die persönlichen Kontakte reduzieren und damit das Infektionsgeschehen auf dem Campus so gut es geht eindämmen. An der gesamten Universität herrscht Maskenpflicht, die Bibliotheken bieten keine Plätze zum Lernen an. Kurzum: Nichts lädt zum Verweilen ein. »Die Entscheidung zur Verschiebung des Lehrens und Lernens in den virtuellen Raum ist durchaus ein Ergebnis von Diskussionen gewesen «, sagt Professorin Dr. Beatrix Busse, Prorektorin für Lehre und Studium.

Busse war gerade erst sechs Monate zuvor von der Universität Heidelberg an die Universität zu Köln gekommen und legte in der Corona-Krise gewissermaßen einen Schnellstart hin. »Digitale Angebote auszubauen, Konzepte für die digitale Bildung zu erarbeiten und mit entsprechenden Formaten weiter zu entwickeln, standen von Anfang an auf meiner Agenda für die neue Tätigkeit als Prorektorin, die ich im Vollamt wahrnehme «, sagt Busse. Dass das sozusagen über Nacht geschehen musste, war für alle eine besondere Situation. Umso beeindruckender, dass es tatsächlich geklappt hat: In diesem Sommersemester werden mehr als 90 Prozent des Lehrangebots digital durchgeführt. »Das ermöglicht den Studierenden einen weitestgehend unverzögerten Studienverlauf «, fügt Busse hinzu. »Dass wir dabei alle an einem Strang ziehen, freut mich außerdem noch viel mehr.«

Die Universität hat das Angebot für Schulungen zu digitaler Lehre und digitalen Tools mit Beginn des Sommersemesters massiv ausgebaut – und es wird breit wahrgenommen. Das CompetenceCenter E-Learning (CEE) bietet unterschiedliche Schulungen an, aber es gibt auch bemerkenswerte Initiativen an den Fakultäten. Der Physikdidaktiker Professor Dr. André Bresges bietet gemeinsam mit seinem Team beispielsweise eigens konzipierte interaktive Zoom-Schulungen an. Einige der Lehrenden und Studierenden, die von seinem Wissen profitiert haben, bieten mittlerweile schon einige Schulungen an.

Mehr als 3.000 Lehrveranstaltungen wurden in den Fakultäten in kürzester Zeit auf digitale Formate umgestellt. Jan Eden ist im Prorektorat Lehre und Studium für das Digitale Studium an der Universität verantwortlich. In den entscheidenden drei Wochen vor Semesterstart stand sein E-Learning-Team den Lehrkräften mit praktischen Empfehlungen zur Seite: »Unmittelbar nach der Entscheidung für ein digitales Semester interessierten sich viele Lehrende für Formate wie Webinare und Vorlesungsaufzeichnungen «, sagt Eden. »Mittlerweile liegt der Fokus unserer Beratung immer mehr auf interaktiveren und studierendenzentrierten Formaten, und auch die Nachfrage nach Beratungsangeboten für didaktisch sinnvolle digitale Konzepte nimmt weiter zu.« Die Flexibilität und das Engagement der Lehrenden für die Hauruckaktion hätten ihn außerordentlich beeindruckt.

Mit dem elektronischen Semesterapparat, zusätzlichen digitalen Verlagsinhalten und einem erweiterten Scandienst unterstützt auch die Universitäts- und Stadtbibliothek Studierende und Lehrende unter den neuen Bedingungen. Jan Eden: »Lehren und Lernen an einer Universität muss sich auf eine umfassende Literaturversorgung stützen können, und die erweiterten Dienste der USB sind gerade jetzt extrem hilfreich.«

Im Zoom-Seminar nur fremde Gesichter

Auch für Studierende bringt das Onlinesemester ein Umdenken mit sich. Zwar entfällt der zuweilen lästige Weg zur Uni, doch die persönlichen Kontakte fehlen – besonders für Studierende im ersten Fachsemester. Michaela M., die der Erstsemesterbegrüßung von der Hochschulleitung zuhause via Facebook zugesehen hat, hatte sich ihren Start anders erhofft: »Ich weiß schon aus dem Bachelor, wie wichtig es ist, sich seine Leute zu suchen. Deswegen wollte ich in meinem ersten Mastersemester jetzt von Anfang an alles mitmachen, um mich einzufinden und zu socializen. Richtig schade, dass ich gerade keine Chance habe, meine Kommilitonen in echt kennenzulernen!«

Michaela studiert im Master Lateinamerikastudien. Weil sie nebenher jobben muss, hatte sie für den Bachelor etwas länger gebraucht. Alle ihre Kontakte waren schneller durch und starteten früher mit dem konsekutiven Master. Jetzt, im ersten Mastersemester angekommen, blickt Michaela in der Zoom-Session ratlos in noch fremde Gesichter. »Wenn die Dozentin dann fragt, wer jetzt mit wem in eine Gruppe geht, um das Thema anzudiskutieren, dann fühlt sich das komisch an. Ich fühle mich einfach außen vor.« Michaela überlegt sich, ob sie diese Seminare weiterverfolgen oder doch erstmal ihre Kräfte in das Auffrischen der spanischen Grammatik stecken sollte.

Natürlich bringt das Onlinesemester auch positive Aspekte für Studierende mit sich. Viele sind froh, dass die Präsenz für dieses Semester entfällt, dass sie nicht mehr lange Wege zur Uni auf sich nehmen müssen und sich in Ruhe zuhause den Studieninhalten widmen können. Wie Studierende das Onlinesemester erfahren, ist wie so vieles im Leben von individuellen Vorlieben und Lebensumständen abhängig. Ein Ziel für die Zukunft ist daher, eine gute Kombination von Präsenz- und Onlinelehre hinzubekommen. Aus diesem in der Krise geborenen ad hoc-Experiment ergeben sich auch neue Ansprüche, die man sinnvoll für die Zukunft nutzen muss: Manches ist online komfortabler, manches sollten wir analog beibehalten.

Vor der grünen Wand

Seminare und Vorlesungen an der Uni Köln finden im Sommersemester 2020 in einer Mischung aus synchronen Elementen (wie einer gemeinsamen Besprechung via Zoom) und asynchronen Elementen (wie vorher aufgezeichneten Videos) statt. Lehrkräfte können sich selbst etwa im »One Button Recording Studio« auf dem Campus der Humanwissenschaftlichen Fakultät abfilmen. Das Studio ist denkbar einfach zu benutzen: Bevor man sich vor einen Greenscreen stellt, gibt man im Menü an, ob man das Video mit oder ohne Folien, mit nur einer oder mit mehreren Personen aufnehmen möchte. Dann geht die automatisierte »Regie« in die passenden Voreinstellungen (Presets) und stellt Licht und Bildausschnitt ein. Die Aufnahme startet man selbst mit einem Knopfdruck und beendet sie mit dem zweiten. Das Video steht sofort im ILIAS-Konto zum Download bereit.

Der Leiter des Zentrums Netzwerk Medien, Dr. Udo Kullik, ist dankbar, dass sein Angebot in der Krise besonders nachgefragt ist: »Zum Start des Sommersemesters hat die Nachfrage aus allen Fakultäten deutlich zugenommen und viele waren erstaunt, wie leicht es ist, das Video zu erstellen.« Das Team ist gerade dabei, weitere Studios auf dem Campus zu errichten. Selbstverständlich müssen sich Dozierende auch hier vorher überlegen, wie sie ihre Inhalte aufbauen, wie viele Einzelclips sie produzieren und welche didaktischen Ziele sie damit erreichen wollen.

Vom Skeptiker zum Fan

Professor Dr. Alexander Altland hat sich für die Videoproduktion Zeit genommen. Der Professor für Theoretische Physik berichtet, dass er durch die Verordnung des Onlinesemesters selbst eine 180-Grad-Wendung hingelegt hat: »Bisher war ich der absolute Kreidefanatiker und ich hielt den Digitalkram für Quatsch. Das kann ich mittlerweile gar nicht mehr nachvollziehen, und es ist mir fast ein bisschen peinlich«, sagt Altland. »Ich habe ja semesterweise immer wieder das gleiche bei einer Vorlesung erzählt. Dabei macht es viel mehr Sinn, einmal die Inhalte abzufilmen und die gewonnene Zeit künftig in die Interaktion mit den Studierenden zu stecken!«

Altland hat sich von Physikdidaktikern beraten lassen, die Vorlesungsinhalte möglichst klein zu portionieren. Diese Aufgabe bestimmt jetzt erst einmal seinen neuen Alltag: Daheim zeichnet Altland Sequenzen mit der in Gamer-Kreisen bekannten Software »Open Broadcast« auf. Etwa 100 Clips à 20 Minuten sollen entstehen, die Hälfte hat er schon geschafft. Anstatt an einer Tafel mit Kreide entwickelt Altland die Gedanken jetzt handschriftlich am iPad. »Momentan ist es unglaublich aufwändig, aber die Produktion dieser Clips lohnt sich einfach langfristig. « Was neben den Wissenskonserven im Videoformat für den Theoretischen Physiker das wichtigste Anliegen ist, ist der enge Austausch mit seinen Studierenden über ein Gruppenkommunikationstool. Die intensiven Diskussionen im Seminarraum vermisst er dennoch. »In einer perfekten Welt werden wir beides gleichzeitig wollen: analoge und digitale Lehre zusammen.«

Auch der Physiker Professor Dr. Simon Trebst ist begeistert von den Möglichkeiten, die das Onlinestemester eröffnet. Er hat seinen Einarbeitungsprozess in die digitale Lehre sogar photographisch festgehalten. Studentin Michaela M. findet gerade die Videomitschnitte unheimlich hilfreich. Ihre Erfahrung: Man schaffe es gar nicht, gleichzeitig zuzuhören und alles mitzuschreiben, die Folien seien oft viel zu voll. »Das ist ein ›Information Overkill‹ und der pure Stress«, sagt die Studentin. »Für die Zeit nach Corona wäre es daher echt genial, wenn man viel mehr Videos zum Nacharbeiten hätte, weil dann alles mehr Sinn ergibt.«

Die Erfahrungen des Onlinesemesters werden evaluiert

Noch ist das digitale Semester verhältnismäßig jung. Alle Seiten sammeln ihre Erfahrungen. Kölncampus, der in Eigenregie betriebene studentische Radiosender auf der 100,0 Mhz, hat zu der Frage »Wie findet ihr das digitale Semester?« auf Instagram ein geteiltes Zwischenfazit erhalten. Die Rückmeldungen reichen von »Es ist bisher schwer, sich alles selbst zu strukturieren«, »Ob es gut oder schlecht klappt, kommt zuerst auf die Motivation der Dozierenden an«, »Ich fühl’ mich ziemlich einsam« und »Präsenzlehre ist viiiel besser, allein schon weil man da unter Menschen ist« bis zu eher positiven Rückmeldungen wie »Sehr angenehmes und gemütliches Studieren«, »Gut, dass es keine Anfahrt mehr gibt«. Dazwischen gibt es viele Zwischentöne: »Manche Seminare sind super, in anderen fühlt man sich mit dem Stoff allein«, »Man ist viel eigenständiger, aber es gibt auch sehr viel mehr zu tun«.

Auch Prorektorin Busse lässt aktuell das Onlinesemester evaluieren. Die Ergebnisse der unter Studierenden und Lehrenden durchgeführten Umfrage sind Grundlage für die Weiterentwicklung des Unterstützungsund Schulungsangebotes zur digitalen Lehre. Busse ist von Hause aus Professorin für Englische Sprachwissenschaft und erforscht etwa, wie im urbanen Raum durch sprachliche Prozesse Identitäten und neue Realitäten erzeugt werden. »Seit der Corona-Zeit hat sich hier auf jeden Fall ein ›Bleiben Sie gesund‹ zur Verabschiedung eingebürgert«, beobachtet sie mit einem Augenzwinkern. »Und das ist auch die Maxime, die uns in dieser schwierigen Zeit leitet. Hinter all dem steckt doch, dass wir gesund bleiben und uns gegenseitig schützen und unterstützen müssen. Die gegenwärtigen Herausforderungen schaffen wir nur gemeinsam mit gegenseitigem Verständnis, Empathie, Mut und Flexibilität. Dafür, dass jede und jeder diese Eigenschaften tagtäglich unter Beweis stellt, dafür danke ich allen Beteiligten.«

Erfolgreich durch’s Onlinesemester
Lehrvideos aufnehmen und hochladen, Aufgabenpakete schnüren und Onlineprüfungen vorbereiten – das ist Neuland für viele Dozentinnen und Dozenten. In der Corona-Pandemie haben das CompetenceCenter E-Learning (CCE) und viele weitere engagierte Akteure in kürzester Zeit ein breites Unterstützungsangebot zusammengestellt, das den Einstieg in die digitale Lehre erleichtert. Alle Angebote sind auf der Website »Digital Education« gebündelt.

Das CCE bietet regelmäßig ein Webinar zum Thema »Lehrveranstaltungen in ILIAS digital anbieten: Ihr Weg aus der Präsenzveranstaltung« an. Hier lernen Dozierende, wie sie Materialien digitalisieren, ihre Vorlesung am heimischen Bildschirm aufzeichnen, Hausaufgaben einsammeln und digitale Diskussionsmöglichkeiten schaffen können. In der offenen Sprechstunde des CCE können Dozenten und Dozentinnen Fragen zur digitalen Lehre stellen und individuelle Probleme besprechen. Damit das Studium weiterhin möglichst inklusiv ist, bietet das Servicezentrum Inklusion Informationen zur barrierefreien Gestaltung digitaler Lehre an.

Tipps, wie Beschäftigte und Studierende auch unter den veränderten Arbeits- und Alltagsbedingungen gesund bleiben können, hat das Team des Betrieblichen Gesundheitsmanagements der Universität zusammengestellt.

Bei Fragen rund um das Studium im Onlinesemester stellen die Fakultäten, die Zentrale Studierendenberatung und das International Office die notwendigen Informationen bereit. Antworten zu den wichtigsten allgemeinen Fragen sind hier gebündelt.