Das Europäische Wetterzentrum zieht von England nach Nordrhein-Westfalen um. Das eröffnet neue Chancen für Kölner Meteorologinnen und Meteorologen, an präziseren Wettervorhersagen und besserem Monitoring der Klimaveränderung mitzuarbeiten.
Von Jan Voekel
Eine Pandemie war nicht absehbar, aber bereits zu Jahresbeginn zeichnete sich ab, dass 2020 ein turbulentes Jahr werden würde. Anfang Februar tobte das Sturmtief »Sabine« über Deutschland. Bäume knickten um, Ziegel wurden von den Dächern geblasen und der Verkehr war stark beeinträchtigt. Es folgte ein weiterer Hitzesommer mit unterdurchschnittlichem Niederschlag.
Wetterextreme nehmen zu. »Weltweit erleben wir vermehrt Stürme, Überflutungen oder, auch aufgrund von Hitze und Dürre, bedrohliche Waldbrände«, sagt Professorin Dr. Susanne Crewell vom Institut für Geophysik und Meteorologie. In der Vorhersage gebe es aber noch immer Lücken. »Wir arbeiten dauernd an neuen Methoden und Modellen, um das Erdsystem besser zu verstehen und die Wetter- und Klimaprognosen zu verbessern.«
Das werden Kölner Meteorologen und Meteorologinnen in Zukunft noch effektiver tun können, denn das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) bekommt im Sommer dieses Jahres einen neuen Standort in Bonn. Das EZMW ist seit 45 Jahren eine weltweit führende Institution in der Meteorologie und Klimaforschung. Zwei Mal täglich liefert es globale Wettervorhersagen. Darüber hinaus trägt es maßgeblich zum europäischen Erdbeobachtungsprogramm »Copernicus« bei.
Ein regionaler Forschungsstandpunkt entsteht
Bisher hatte das EZMW seinen Standort in Reading im Vereinigten Königreich, doch dann kam der Brexit und das Zentrum brauchte für seine von der Europäischen Union getragenen Projekte einen neuen Sitz innerhalb der EU. Bonn konnte sich im Wettbewerb gegen hochkarätige Kandidaten wie Barcelona, Toulouse und Wien durchsetzen.
»Bei der Bewerbung spielte sicherlich eine Rolle, dass die Universitäten Bonn und Köln gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich gerade erst ein Kompetenzzentrum in Sachen Meteorologie gegründet haben, das ideal an das EZMW andockt«, sagt Crewell. Das Center for Earth System Observations and Computational Analysis (CESOC) bündelt die für das EZMW relevante Forschung der drei beteiligten Institutionen, die sich etwa mit Themen aus den Bereichen Meteorologie, Atmosphärenchemie, Hydrologie, Bodenkunde, Pflanzen- und Agrarwissenschaften sowie Mathematik, Informatik und Informationstechnologie befassen. Das neue Zentrum kann dem EZMW dadurch einen starken wissenschaftlichen Austausch bieten.
Hochauflösende Modelle für präzisere Vorhersagen
Das EZMW sei weltweit führend, weil es Beobachtungen mit Modellierung kombiniert und dabei modernste Verfahren anwendet, so Crewell. Das CESOC könne hierfür ein wichtiger Partner werden, denn eine präzise Beschreibung der Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozean, Eis, Boden, Vegetation – und letztlich dem Menschen – ist die Voraussetzung für bessere Wetter- und Klimamodelle.
»Von Kölner Seite ist unsere Spezialität die Beobachtung und die hochauflösende Modellierung «, sagt die Meteorologin. Sie und ihre Kollegen führen vielfältige Beobachtungen vom Boden, aus Flugzeugen und mit Satelliten durch, um Daten über Wetter und Klima zu gewinnen. Diese nutzen sie um atmosphärische Prozesse in hochauflösenden Modellen mit Maschenweiten um die 100 Meter zu verbessern. Aktuell arbeiten Kölner Forscherinnen etwa mit daran, ein Netz von bodengebundenen Fernerkundungssensoren aufzubauen. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Deutschen Wetterdienst schauen sie, wie viele Geräte wo aufgestellt werden müssten, um die Wettervorhersage präziser zu machen.
Derzeit erarbeitet das EZMW Wettervorhersagen, die auf einem globalen Gitter von circa 10 Kilometern Prognosen von meteorologischen Elementen wie Temperatur oder Niederschlag liefern. Das große Ziel der Meteorologen im CESOC ist es unter anderem, dieses Gitter zu verfeinern, damit keine vereinfachenden Annahmen über atmosphärische Prozesse mehr gemacht werden müssen. Bei einem groben Gitter ist es schwierig, die Prozesse, die Wolken formen, sich entwickeln lassen und zum Abregnen bringen, genau darzustellen. »Das können wir mit unseren hochauflösenden Modellen mit circa 100 Metern Maschenweite schon gut darstellen«, sagt Crewell.
Derartige Entwicklungen sind für das EZMW besonders interessant, denn dort ist man im operationellen Betrieb und nutzt bestmöglich, was vorhanden ist. »Wir können in der Wissenschaft aber Vorlaufforschung betreiben und schauen, was in Zukunft möglich sein wird. Zudem haben wir hier in der Region ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, was die interdisziplinäre Zusammenarbeit angeht – mit Einrichtungen in Deutschland und international«, sagt die Meteorologin.
Neue Beobachtungen für die Wettervorhersage, hochauflösende Modelle für Wetter- und Klimaforschung – das sind einige der Dinge, die durch die zukünftige Zusammenarbeit von EZMW und CESOC zu erwarten sind. Damit können sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den weltweiten Klimawandel besser zu verstehen – und damit möglichst zu bewältigen.
EZMW
Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) ist sowohl ein Forschungsinstitut als auch ein rund um die Uhr einsatzbereiter Dienst, der globale numerische Wettervorhersagen und andere Daten erstellt. Das Zentrum verfügt über eine der größten Supercomputer-Einrichtungen und das größte meteorologischen Datenarchiv der Welt. Zum Sommer 2021 verlegt die unabhängige internationale Organisation, die von 22 Mitgliedsstaaten getragen wird, ihre europäischen Projekte vom britischen Reading nach Bonn.
CESOC
Die Universitäten Köln und Bonn sowie das Forschungszentrum Jülich betreiben seit Herbst 2020 ein gemeinsames Zentrum für Erdsystembeobachtung und rechnergestützte Analyse (Center for Earth System Observation and Computational Analysis, CESOC). Ziel ist es, das System Erde global zu beobachten, umfassend zu verstehen und Veränderungen vorherzusagen. Beteiligt sind die beiden Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten in Köln und Bonn sowie die Landwirtschaftliche Fakultät und zwei transdisziplinäre Forschungsbereiche der Universität Bonn. In Köln sind zudem das Kompetenzfeld
»Quantitative Modellierung komplexer Systeme« und das »Center for Data Science and Simulations« involviert. Im Forschungszentrum Jülich sind die Institute für Energie- und Klimaforschung,
für Bio- und Geowissenschaften sowie das Jülich Supercomputing Center Teil des neuen Zentrums.
Weitere Informationen
Webseite Prof'in Dr' Susanne Crewell
Institut für Geophysik und Meteorologie