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Rede zum Jahresempfang 2017 der Universität zu Köln

Was ist ein Fakt?

Über die Verantwortung des Wissenschaftlers in einer angeblich postfaktischen Gesellschaft.

 

Von Professor Dr. Axel Freimuth
Rektor der Universität zu Köln


Köln, 24. Januar 2017

(Es gilt das gesprochene Wort)

Es sind aufregende, vielleicht sogar bedrohliche Zeiten. Ein Blick auf die Titelseiten der Zeitungen an einem einzigen Tag genügt, um das festzustellen: Präsident Trump setzt weiterhin auf Konfrontation und Was bleibt vom Westen, so Leitartikel und Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Januar 2017, gleich neben einem Bericht über Erdogans neue Türkei; Der Spiegel titelt: Die neue Weltordnung – Trumps Spiel; in Der Zeit heißt das: Der Demolierer. Dazu passend in allen Blättern Berichte über den Wahlkampfauftakt der europäischen Rechtspopulisten in Koblenz mit Marine Le Pen, Frauke Petry, Geert Wilders und Matteo Salvini. Sogar der Papst, der sich in der Regel nicht direkt in die politische Entwicklung einmischt, warnt vor Populismus und Populisten. Ins Bild passt auch der Austritt Englands aus der Europäischen Union; dazu Putins Machtgebaren, der Islamische Staat und die Entwicklung im Nahen Osten. 

Grund genug, sich Sorgen zu machen. Oder vielleicht doch nicht? Denn die Berichterstattung der Medien – aber auch Warnungen angesehener Politiker und die Expertisen von Wissenschaftlern – das alles müssen wir ja, wenn es nach den Populisten geht, nicht ernst nehmen: „Lügenpresse!“ rufen sie und „Wir sind das Volk!“ Und scheinbar reicht es im angeblich „postfaktischen Zeitalter“ aus, laut genug zu brüllen, um abweichende Meinungen zu diskreditieren und Fakten herunterzuspielen oder durch bloße Behauptungen zu ersetzten, oft durch nichts gestützt und durch gezielt eingesetzte „Fake News“ befeuert. Von Experten habe man genug; wenn einem etwas nicht passt, behauptet man flankiert durch die sozialen Medien so lange das Gegenteil, bis alle es glauben. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, sprach auf seinem Jahresempfang in diesem Zusammenhang von den „asozialen Medien“. Und in einem vielbeachteten Artikel im Magazin vom 3. Dezember 2016 schreiben Mikael Krogerus und Hannes Grassegger unter dem Titel Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt über die Möglichkeiten von „Big Data“ – insbesondere der Verfügbarkeit großer, personenbezogener Datenmengen  und sozialen Medien, Wahlen zu beeinflussen. Diese Entwicklung fordert uns alle heraus, als Demokraten und Bürger eines freien Landes, und ganz besonders als Wissenschaftler, die dem Gerede vom „Postfaktischen“ etwas entgegensetzen sollten. So scheibt Joachim MüllerJung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:  „Wenn jeder alles behaupten kann, wenn Humbug zum politischen Programm wird und Tatsachen wie schlechte Unterhaltungssender ausgeschaltet werden können, dann ist es so weit: Kommt und holt uns, Aliens. Wozu noch Wissenschaft? 

Meine Damen und Herren, angesichts dieser Entwicklungen fällt es mir schwer, zur Tagesordnung des Jahresempfanges überzugehen und über die Universität zu Köln zu sprechen, ihre Leistungen im letzten Jahr und das was vor uns liegt. Sehen Sie mir also nach, dass ich es dabei bewenden lasse, zu verkünden, dass wir ein herausragendes, überaus erfolgreiches Jahr hinter uns haben, eines der erfolgreichsten der letzten Jahre. Wir haben uns in allen Leistungsbereichen noch einmal gewaltig gesteigert: Die Modellakkreditierung unserer Studiengänge wurde erfolgreich bewältigt; wir haben sieben Sonderforschungsbereiche alleine im letzten Jahr eingeworben und damit insgesamt jetzt vierzehn; zwei HumboldtPreise und ein LeibnizPreis wurden an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unserer Universität verliehen. Näheres hierzu werden sie auf der Podiumsdiskussion mit Preisträgerinnen und Preisträgern unserer Universität erfahren und bei der Verleihung der Ehrensenatorwürde an den Dekan der Medizinischen Fakultät und einen der Hauptprotagonisten unseres Erfolges, Prof. Dr. Thomas Krieg. 

Nicht vergessen möchte ich – damit es nicht heißt, dass ich die Politik immer nur tadele und nie lobe – dass das Land NordrheinWestfalen bisher als einziges Bundesland beschlossen hat, einen beträchtlichen Teil der Landesmittel für den Hochschulpakt, die uns zur Bewältigung des Studierendenansturms zunächst nur zweitweise zur Verfügung standen, dauerhaft in den Haushalt der Hochschulen einzustellen. Dafür sind wir außerordentlich dankbar. 

Bei dieser kurzen Zusammenfassung unserer wichtigsten Erfolge möchte ich es bewenden lassen und zurückkommen auf die zu Beginn angesprochenen Themen und unsere Rolle als Universität in diesem Kontext. Die genannten Entwicklungen spiegeln eine tiefe Verunsicherung gegenüber der weltweiten Entwicklung wider  insbesondere gegenüber Globalisierung und Zuwanderung  und gleichzeitig einen Verlust des Vertrauens in etablierte Institutionen seien es politische Parteien, klassische Medien oder unsere Wissenschaftseinrichtungen. 

Vieles ist in der letzten Zeit zum Erstarken des Populismus gesagt worden. Ohne Zweifel schürt die Globalisierung Ängste, reale, wenn es etwa um den Verlust von Arbeitsplätzen durch deren Verlagerung geht, aber auch irreale, wenn Zuwanderung sogar dann problematisiert wird, wenn es kaum Zuwanderer gibt wie beispielsweise in vielen Regionen im Osten Deutschlands. Ob nun real oder nicht, Ängste müssen ernst genommen werden. Betroffene verstehen nicht, warum sie auf Hartz IVNiveau leben müssen, ohne ernst zu nehmende Perspektiven, wenn gleichzeitig Milliarden für die Rettung von Staaten und Banken, für Flüchtlingsprogramme und die Elbphilharmonie zur Verfügung stehen. Ängste und Vorbehalte großer Bevölkerungsteile nicht zu beachten bereitet den Boden für Populisten. Die Ereignisse in den USA zeigen dies deutlich: Dort klafft die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Erfolgreichen und Abgehängten weit auseinander. Das amerikanische politische Establishment jedoch hat dieses Problem so gut wie nicht aufgegriffen und kaum etwas dagegen unternommen. So sagten TrumpWähler: „Er drückt meine Gedanken, Gefühle und Ängste aus. Er spricht für mich und versteht meine Lage. Er wird etwas für mich tun.“ Das fasst hervorragend zusammen, wie Trump es geschafft hat, zum „Anführer einer Bewegung“ zu werden. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Dies alles ist keine Rechtfertigung für die Meinungsmache der Populisten, die auf verdrehten Tatsachen, Unwahrheiten und kaum verhohlenen Ressentiments gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden beruht. Gerade wir in Deutschland haben allen Grund, Populisten gegenüber kritisch und wehrhaft zu sein. 

Besonders bedrohlich für die Wissenschaft erscheint das Gerede von der angeblich „postfaktischen Ära“. Der Status von Fakten und das Wissen um diese Fakten werden plötzlich zur Disposition gestellt, die Relevanz von Wissenschaft und Forschung wird damit ebenfalls fraglich. Angesichts dieser tiefgreifenden und allgegenwärtigen Tendenzen darf die Universität als Institution und dürfen wir als ihre Mitglieder nicht tatenlos zusehen. Wir müssen – aufbauend auf unseren Stärken  diese Entwicklungen diskutieren, analysieren und bewerten, überlegen, wie man darauf reagieren kann und handeln. 

Dabei sollten wir nicht vergessen, uns auch mit der Frage zu beschäftigen, welchen Anteil wir vielleicht selber daran haben? Hier bedarf es der Selbstkritik und der Bescheidenheit. Wenn die Universität als Heimat von Wissenschaft und Forschung glaubwürdig bleiben will, muss sie darauf achten, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit und ihre Redlichkeit nicht erschüttert wird. Leider hat es in den letzten Jahren in dieser Hinsicht Fehlentwicklungen gegeben, angefangen vom Plagiat bis zur Fälschung von Daten. Übersteigerter persönlicher Ehrgeiz und übertriebener Wettbewerbs und Erfolgsdruck lassen sich als Motive identifizieren, warum Forscherinnen und Forscher wider besseres Wissen die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis verletzen und so die gesamte Wissenschaft in Verruf bringen. Dieser Diskreditierung der Wissenschaft von innen heraus müssen sowohl die Forschungsinstitutionen als auch die wissenschaftliche Gemeinschaft mit klaren Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und einem konsequenten Umgang bei Verstößen entgegentreten.    

Zurückhaltung und Bescheidenheit scheinen mir besonders dort angezeigt, wo die Wissenschaft sich selbst noch in Diskussionsprozessen befindet. Der klassische Expertenstreit – in nahezu jeder Talkshow zu beobachten – zeigt exemplarisch, dass auch in der Wissenschaft Fakten unterschiedlich bewertet werden und Meinungen kontrovers sind. Der Status verschiedener Formen der Evidenz und damit die Unterscheidung zwischen einem Faktum, einer begründeten Vermutung und blanker Spekulation müssen sowohl in der akademischen Lehre als auch in der Kommunikation nach außen klarer unterschieden werden. Nur so kann man vermeiden, sich den Ruf des „Heute so, und morgen so“ erwerben, den mein Doktorvater Professor Dieter Wohlleben mit den Worten charakterisierte: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.“

Am Rande möchte ich ergänzend bemerken: Mit NichtWissenschaftlern sollte man so reden, dass man verstanden wird. Also kein Jargon! Leider beobachtet man in der Realität das Gegenteil. So kann derzeit kaum noch ein Geisteswissenschaftler eine Rede halten, ohne das Wort „Narrativ“ zu verwenden. Inzwischen fordert sogar Markus Lanz seine Talkgäste dazu auf, ihr Narrativ vorzutragen. Halten sie es mit Schopenhauer, wenn er sagt: „Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.“

Ich möchte mit dieser Kritik keinen falschen Eindruck erwecken: Ich habe keineswegs das Vertrauen in die Wissenschaft und unser Wissenschaftssystem verloren. Es ist nach meiner Überzeugung eines der besten der Welt. Nach wie vor ist die wissenschaftliche Methode die Methode der Wahl, wenn es darum geht, Neuland zu betreten, scheinbar Unumstößliches in Frage zu stellen und neues, geprüftes Wissen zu erzeugen. Fehler und das Fehlverhalten Einzelner werden dabei durch systematische und transparente Prozesse sichtbar und korrigiert. Nur glaube ich eben, wir können das noch besser und noch besser sichtbar machen. 

Niemand kann ausschließen, dass hinter den aktuellen Entwicklungen vielleicht mehr steckt, dass eine fundamentale Veränderung der Gesellschaften bevorsteht. Die Vergangenheit lehrt, dass solche Prozesse insbesondere durch Umwälzungen im Bereich der Kommunikation, der Medien angestoßen werden können. Man denke etwa an die Erfindung des Buchdrucks und die daraus folgenden Veränderungen wie die Reformation; was heute die TwitterNachricht ist, war damals das neu erfundene Flugblatt. Und wer wollte bezweifeln, dass die Medien heute in all diesen Prozessen eine entscheidende Rolle spielen. Diese kann positiv sein, indem etwa über das Internet und die sozialen Medien Informationen allgemein zugänglich werden; man denke an den arabischen Frühling. Die Rolle der Medien kann jedoch auch höchst problematisch sein, beispielsweise wenn ein Einzelner mit einem Tweet Millionen Menschen manipulieren kann, wenn durch Algorithmen Kommunikationsblasen entstehen, innerhalb derer ein geschlossenes und an die Meinung der Teilnehmer angepasstes, gefärbtes Weltbild gezeichnet wird, wenn Wahlen durch Roboternachrichten – sogenannte „bots“ – beinflussbar werden und wenn überhaupt die Informationsflut so zunimmt, dass die Bewertung von richtig und falsch, von wahr und gelogen immer schwieriger wird. Es ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, mit dieser Entwicklung der Medien nicht nur Schritt zu halten, sondern sie so zu gestalten, dass ihre konstruktive Nutzung möglich ist. Die Möglichkeiten, Mechanismen und die Verwendung der neuen Medien müssen daher sehr viel stärker als bisher an den Schulen und den Hochschulen in den Blick genommen werden.

Wie es auch sei, ob fundamentale Umwälzung oder Reaktion auf Globalisierung oder was auch immer: In einer aktiven Beteiligung an der öffentlichen Diskussion und der Mitgestaltung der Zukunft sehe ich eine der großen gegenwärtigen Herausforderungen an die Hochschulen als Lehr und Forschungseinrichtung. Die Vermittlung verlässlicher Wissensbestände, die transparente Wissensgenese und die Pflege einer vorbildlichen und offenen Diskussionskultur müssen in meinen Augen unsere Antwort auf die gegenwärtigen Phänomene der Verunsicherung und die Rede vom Postfaktischen darstellen. 

Wir haben in dieser Hinsicht eine ganz besondere Verantwortung, denn derzeit studiert jeder zweite junge Mensch in Deutschland an einer Hochschule. Ein Studium muss mehr sein, als Spezialwissen anzuhäufen und sich auf eine berufliche Karriere vorzubereiten. Wir müssen an den Hochschulen verstärkt gesellschaftlich relevante Themen und aktuelle Entwicklungen diskutieren, kritisch und frei von Denkverboten, aber respektvoll und fair gegenüber abweichenden Meinungen. Wir sollten stärker als bisher jungen Menschen dabei helfen, eigenständig und kritisch mit gesellschaftlichen Prozessen umzugehen und sie ermuntern, diese mit zu gestalten. Junge Wirtschaftswissenschaftler, beispielsweise, sollten auch über negative Folgen wirtschaftlicher Entwicklungen diskutieren, aus der Perspektive von Betroffenen, die beispielsweise durch Globalisierungsprozesse oder die Digitalisierung ihre Arbeitsplatze verlieren; Naturwissenschaftler und Ingenieure sollten lernen, dass nicht jedes Problem technisch gelöst werden kann; Geisteswissenschaftler sollten sich, trotz ausgiebiger dekonstruktivistischer Zerstückelung von Texten und Ideen, nicht vollständig davon abwenden, dass es auch empirische Fakten gibt und dass deren Beachtung hier und da hilfreich sein kann. 

Lassen sie uns also die Diskussion an den Hochschulen neu beleben. Noch einmal: Jeder zweite junge Mensch studiert an einer Hochschule. Wir können und müssen dazu beitragen, die soziale Verantwortung, das Wissen und die Kritikfähigkeit dieser jungen Menschen zu stärken. In diesem Sinne liegt es auch an uns, den Nährboden für Populisten zu vernichten!

Für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Redemanuskriptes bedanke ich mich bei Frau Luzia Goldmann.